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STÖRFÄLLE IM GRÜNEN
Sollbruchstellen:
Projekt von »Unikum« im
öffentlichen Raum Kärnten
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Weiße
Wattewolken kontrastieren mit üppigem Blau, Landwirte verrichten
Feldarbeit, Bildstöcke gleißen im Licht, würzig
die Luft, üppig die Jause im Berghof: Rosental-Idylle, wie
man sie aus Prospekten der Kärnten-Werbung kennt. Am Waldesrand,
dort, wo die Aussicht ins Tal besonders imponiert, trägt
ein hölzernes Postament ein eigentümliches Gebilde.
Ein Objekt, das die Hügelform der Umgebung zitiert und an
die Gestalt eines menschlichen Hinterteils erinnert. Ein »Leckstein«,
gefertigt von Uwe Bressnik und Thomas Kosma. Eine Irritation zum
Anschauen und Angreifen, zum Schmecken und Riechen, zum Schmunzeln
und Ärgern.
Für die beiden Künstler wurzelt die Formensprache des
»reinen Naturproduktes aus Salzstein in der Gespaltenheit
der Kärntner Seele«. Einige dieser im rauh gewordenen
Kärntner Kulturklima vieldeutigen Objekte stehen hier im
Grünen, das den reizvollen Namen »Gupf« trägt.
»Seit die Lecksteine hier sind, haben wir einen neuen Spitznamen:
die Allerwertesten-Alm«, meint eine Anrainerin und lächelt.
Andere lächeln nicht, sondern haben versucht, die Kunstwerke
zu beschädigen. Die Skulpturen sind Teil des neuen Projektes
des traditionell widerspenstigen Klagenfurter Universitätskulturzentrums
»Unikum«: »Sollbruchstellen« lädt
ein, »elf Mal Kunst entlang einer durch das Bundesland gehenden
Erdbebenlinie« wahrzunehmen.
Elf Standorte, elf nicht nur optische Störfälle im Grünen
beziehungsweise im Grauen: Gerhard Pilgram setzt beim Wildensteiner
Wasserfall mit rotem Holzbalken und Apfelkorb der Sagengestalt
Atlas ein Denkmal. Roland Kollnitz stellt abstrahierte Bar-Formen
aus lackiertem Eisen in die Landschaft. Herwig Turk vereint Migrantenausrüstung
mit Börsenterminologie. Mirjana Rukavina affichiert auf einem
ehemaligen Industriegelände Fotos einer Gesichtsmassage.
Interventionen auf Zeit, die Fragen stellen, Dissonanzen sichtbar
machen, gegen das Vorgaukeln und Einlullen ankämpfen. Auch
wenn die Förderungen des Landes und von der Stadt Klagenfurt
versiegt sind: »Unikum« bleibt umtriebig, unbequem,
spannend. (Martin Behr)
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Jener
Verein, der auf den blumigen Namen »Universitäskulturzentrum«
kurz »UNIKUM« hört, machte wieder einmal von sich
reden. Zwar hat das Ganze kaum etwas mit der »Universität«
zu tun, wohl auch nur wenig mit »Kultur« und von »Zentrum«
kann schon überhaupt keine Rede sein. Es ist vielmehr wieder
einmal eine groteske Aktion, die dieses »UNIKUM« da
durchführte.
»Sollbruchstellen« nannte sich die Aktivität, deren
Sinn dem Durchschnittsbeobachter rätselhaft bleiben dürfte.
Höhepunkt war die Aufstellung sogenannter »Lecksteine«,
die an überdimensionierte menschliche Hinterteile gemahnen.
Ach, wo sind die Zeiten, wo Künstler mit der feinen Klinge,
mit kunstvoll gesponnenen Allegorien und Gleichnissen arbeiteten.
Heute reicht schon eine plump modellierte menschliche Kehrseite,
um irgendwelchen dumpfen Protest zu artikulieren.
Der geschätzte Leser erinnert sich. Besagtes »UNIKUM«
ist zwecks Finanzierung seiner Aktivität immer wieder um
hunderttausende Alpendollar an Steuergelder vorstellig geworden.
Wie man hört, ist indessen nur noch Kulturstaatssekretär
Franz Morak bereit, für Lecksteine und dergleichen Steuergeld
locker zu machen. Stadt Klagenfurt und Land Kärnten verweigern
sich da.
Den
Verantwortlichen dort, wie auch wohl den Bürgern des Landes
insgesamt, gilt wohl auch die mit den Lecksteinen verbundene Aufforderung,
für die offenbar das Götz-Zitat mitzudenken ist. Es
wäre interessant zu wissen, in welcher Höhe die Herren
und Damen Aktionisten um Subventionen dafür angesucht haben.
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KRONEN ZEITUNG, 19. Juni 2001
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Apfel oder doch Gebirgslast?
Elfmal Kunst als »Störfall« der Kärntner
Erdbebenlinie entlang: Eine Aktion des UNIKUM sorgt für
Irritation und schärft den »zweiten« Blick.
Zu
erleben noch bis zum 24. Juni.
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Genau
dort, wo die Alpen vom afrikanischen Kontinent nach Norden gedrückt
werden, ist der Wildensteiner Wasserfall entstanden. Ein beeindruckendes
Naturschauspiel, das zahlreiche Touristen anzieht.
Und genau dort erwartet die Wanderer noch bis 24. Juni eine angesichts
der Felsmasse »kleine« (dabei ist der Balken immerhin
4,80 Meter lang) Irritation. Soll dieser rote Holzbalken, der
sich in den Felsvorsprung spreizt, die Wand stützen? Oder
hat ein übergroßer Riese seinen Zahnstocher verloren?
Beides ist nicht weit hergeholt. An dieser ersten »Sollbruchstelle«
setzt Gerhard Pilgram vom Unikum dem Riesen Atlas ein Denkmal.
Zur Erinnerung: Das ist jener Gigant, der der Sage nach das Atlasgebirge
auf seinen Schultern tragen muss. Nur kurz hat ihm einmal, so
erzählt der Mythos, der Held Herkules die Last abgenommen.
Atlas stahl für ihn die goldenen Äpfel der Hesperiden
und nur durch einen Trick konnte der Held den Atlas dazu bringen,
die tonnenschwere Gebirgslast wieder auf seine Schultern zu nehmen.
Pilgram erinnert an diesen Vorfall, in dem er einen Korb mit Äpfeln
aufstellt. Der erschöpfte Wanderer hat die Wahl: Entweder
er nimmt die Stelle des roten Holzbalken ein, oder er nimmt einen
Apfel. Kein Wunder, dass Pilgram mindestens zweimal die Woche
den anstrengenden Aufstieg machen muss, um den Korb wieder zu
füllen.
Insgesamt elf solcher »Sollbruchstellen« sind entlang
der Erdbebenlinie zu sehen. Das Unikum will mit dieser Aktion
den »zweiten« Blick schärfen: Kleine Irritationen,
Unregelmäßigkeiten, die sich in die Landschaft schmiegen
und diese widerspiegeln.
Hinterteile. Wie zum Beispiel die Lecksteine von Uwe Bressnik
und Thomas Kosmar. In ihrer Form erinnern sie an nackte Hinterteile:
Sanfte Rundungen, die sich in der für Kärnten fast unüblichen
kleinteiligen Hügellandschaft bei Gupf wiederholen. Die einheimische
Bevölkerung ist geteilter Meinung: »Das soll Kunst sein«,
fragt ein Spaziergänger irritiert. Doch die Wirtin des Berggasthauses
Doris Schuschnigg erzählt, dass einige ihrer Gäste sofort
in der ersten Nacht aufgebrochen sind, um sich die Werke anzuschauen.
Auch die beiden Bauern an der Theke sind interessiert: »Kann
man da selbst daran lecken?«, fragen sie und: »Kann
ich meine Kühe ranlassen?« Den Veranstaltern und Künstlern
wärs nur recht, denn schließlich wollen sie »hautnah«
sein mit ihren Werken. »Wenn man Objekte im Freien aufstellt,
muss man immer mit allem rechnen«, so Gerhard Pilgram. »Die
Kunstwerke vergammeln, werden zerstört und beschmiert.«
Auf jeden Fall begrüßt er die unmittelbaren Reaktionen
auf die Kunst, und das, obwohl zum Beispiel die Lecksteine mit
einer stinkenden braunen Paste beschmiert wurden. »Auch eine
Art, sich zu äußern«, so Pilgram. Und von den
ursprünglich neun PVC-Taschen zum Thema »Migration«
von Wolfgang Turk (bei Rosenbach zu Füßen des Grenzüberganges)
sind nur noch sieben übrig.
Störfall. Ob es eine in die Landschaft gestellte »Bar«
von Roland Kollnitz ist (beim Birkenhofsee bei Weizelsdorf), berührende
Fotoserien eine Gesichtsmassage von Mirjana Rukavina (bei Winkel/Kot
und auf dem ehemaligen Betriebsgelände der BBU bei Arnoldstein)
oder die noch zweimal wiederkehrenden Lecksteine (am Ufer der
Drau bei Suetschach und auf der Napoleonwiese beim Warmbad Villach):
Die Kunst ist gleichzeitig »Störfall« und Ergänzung
der Landschaft. Das zeigen auch die vielen Eintragungen in den
»Gästebüchern«, in denen Besucher direkt auf
das Kunstwerk reagieren können. Da steht bei »Sollbruchstelle
I«: »Wo liegt da die Kunst? Kunst ma des nit erklärn?«.
Doch viel öfter heißt es: »Hat mich irritiert,
soll es wohl auch«, »Toll« und sogar »Mehr
davon.«
Zu sehen bis 24. Juni. Weitere Infos unter Tel. 0664/451 1854.
Im Internet unter www.unikum.ac.at. »Führer« zu
den verschiedenen Sollbruchstellen gibts bei jeder einzelnen
Station.
(Marianne Fischer)
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Bebenlinien sind Lebenslinien
Noch bis 24. Juni kann man die tektonische Bruchlinie durch
Kärnten im Rahmen der Aktion »SOLLBRUCHSTELLEN«
des UNIKUM erwandern.
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Es
hilft alles nichts, auch die Geologie hat in einer ganzheitlichen
Welt ihre hintergründige Symbolik. Und geologisch betrachtet,
besteht kein Zweifel daran, dass tief unten im Kärntner
Heimatboden Afrika an Europa grenzt. Diese Tatsache äußert
sich zuweilen in desaströsen Erdbeben, wie etwa im Jahre
1348, als der Dobratsch abbrach und 17 Dörfer unter der
»Schütt« begraben wurden. Aber eine Bruchlinie
kann auch Aufbruch, Aufbrechen starrer Krusten symbolisieren,
so wie eine Ackerfurche. Dann wird die Erdbebenlinie zur Lebenslinie.
Und das bezieht sich nicht nur auf die Geologie oder die Landwirtschaft,
sondern vor allem auf die kollektive Psyche einer Landschaft.
Das Universitätskulturzentrum UNIKUM sät Kunst in
der Ackerfurche zwischen Europa und Afrika: An elf Stellen zwischen
dem Wildensteiner Wasserfall und dem technoid-magischen Kraftplatz
unter der Autobahnbrücke an der Grenze in Thörl-Maglern
sind bis zum 24. Juni Denk-Mäler im eigentlichen Sinne
errichtet.
Gleich am Anfang der Strecke, beim Wasserfall, erinnert zum
Beispiel der Leiter des UNIKUM, Gerhard Pilgram, an den mythischen
Riesen Atlas, der den Globus trägt; Uwe Bressnik setzt
an verschiedenen Orten (in Gupf, Warmbad Villach und eben in
Thörl-Maglern) »Lecksteine« in jener zum Volksgut
gewordenen Form, die frappant an ein Schauspiel des jungen Goethe
gemahnen.
Wider
die Dummheit
An
anderen »Sollbruchstellen« gibt es für den
Pilger über die Heimaterde lackierte Eisenplastiken von
Roland Kollnitz, Holzinstallationen von Elisabeth Penker, PVC-Installationen
von Herwig Turk sowie Piktogramme aus lackiertem Kunststoff
von N.N. zu sehen. In Summe ein Gegengewicht »zu einer
immer mehr präsenten, selbstbewussten Vulgarität,
einer herausfordernd aus irgendwelchen Gartenzwerggärten
und Cabrios blickenden Dummheit, einer aus Zeitungskolumnen
geifernden Anmaßung«, wie Wilhelm Berger in
einem Essey zu der Aktion des UNIKUM bemerkte...
(Karl Bertram Steiner)
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KÄRNTEN
Kärntner »Sollbruchstellen«
Künstlerische
Installationen markieren die
tektonische Linie
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Klagenfurt
- »Sollbruch-stellen« heißt das neue Projekt des
Klagenfurter Universitätskulturzentrums »Unikum«.
An elf Orten
entlang der Kärntner Erdbebenlinie - von Unikum als
»Sollbruchstellen« bezeichnet - entstehen temporäre
Installationen
von verschiedenen Künstlern.
Die Linie verläuft mitten durchs zweisprachige Gebiet, von
der
italienisch-österreichischen Grenze bei Thörl/ Vrata
durchs
Rosental/Roz bis zum Wildensteiner Wasserfall in Unterkärnten.
»Eine tektonische Störungslinie zieht sich durch das
Land und
sorgt zeitweilig für Erschütterungen«, steht im
Begleittext zu lesen.
Tatsächlich löste 1348 ein gewaltiges Beben den Absturz
einer
Flanke des Dobratsch aus und begrub 17 Dörfer. Und nicht
nur
von geo- logischen Beben droht Gefahr. Immer wiederkehrende
Diskussionen im zweisprachigen Gebiet führen zu Rissen im
Zusammenleben deutscher und slowenischer Volksgruppen. Auch
das will das Unikum-Projekt thematisieren.
»Minimalistisch bis auffällig« präsentieren
sich die Installationen
der Künstler, so Gerhard Pilgram von Unikum. Als
Ausstellungskulisse dienen Orte, die nicht unbedingt Scharen von
Besuchern anziehen werden: eine Brücke, die an ein Kirchenschiff
erinnert, ein vormals verseuchtes Betriebsgelände der
Bergwerksunion in Arnoldstein oder das gewaltige Stahlbetonportal
des Karawankentunnels. Eröffnung ist am 2. Juni in Thörl.
»Sofern
die Objekte nicht vorher dem Vandalismus zum Opfer fallen«,
sollten die Installationen drei Wochen zu sehen sein, meint
Pilgram trocken. (horn)
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Störfaktor an der Störlinie
11 x Kunst einer Erdbebenlinie entlang: Das Unikum
überrascht Ausflügler und Radler mit kleinen Eingriffen
im öffentlichen Raum.
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Durchschnittlich
vierhundertmal pro Jahr bebt die Erde in Kärnten etwa 30
dieser Beben sind spürbar. Sensibel wie ein Seismograf reagiert
das Universitätskulturzentrum Unikum auf leiseste Veränderungen
der Kulturlandschaft. Die durch Kärnten verlaufende tektonische
Störlinie wurde als Metapher für kulturelle, soziale
und gesellschaftliche Spannungen in Projekte eingebaut, das Unikum
selbst zum Störfall für (freiheitliche) Kulturpolitiker:
Im Vorjahr strich das Land die Subvention (300.000 Schilling),
heuer setzte der Klagenfurter Kulturstadtrat Gassner die engagierten
Kulturarbeiter ohne Begründung auf Nulldiät. Auch der
Hauptsponsor hat sich - wie man hört unter dem Druck jener
Kunden, die die Unikum-»Evakuierung« am 10. Oktober
2000 nicht goutierten - verabschiedet. »Im Vergleich zu 1999
bedeutet das für uns ein Minus von 850.000 Schilling«,
rechnen Gerhard Pilgram und Emil Kristof vor.
Dass das Unikum noch arbeitsfähig ist, verdankt es der Hans-
Schmid-Privatstiftung und der rettend eingesprungenen Stadt Villach.
Für 2002 hofft man auf die EU, ein Projekt wurde eingereicht.
Um die Bruchstellen entlang der Störlinie zwischen Wildensteiner
Wasserfall und Thörl (slow.: Vrata = Tür) geht es beim
jüngsten Projekt: Elf Orte, einer eigentümlicher als
der andere und zum Teil »von faszinierender Hässlichkeit«
(Pilgram) werden von Künstler(inne)n markiert. Es sind nur
kleine, unspektakuläre Eingriffe. Keine Spur von Event, sondern
fast unscheinbare Brüche in der Wahrnehmung. Ungewohnte Perspektiven,
die den, der zufällig des Weges kommt, verunsichern, sensibilisieren
und genauer hinschauen lassen. Etwa sanfte, aber eindeutig gerundete
Lecksteine (Uwe Bressnik/Thomas Kosma), Textobjekte mit Schlafsäcken
oder PVC-Taschen (Herwig Turk) zum Thema »Geld« oder
Fotoinstallationen von Mirjana Rukavina. Eine kilometerlange Verunsicherungsmaßnahme
auf künstlerischer Ebene, eine Strecke, auf der die Kunst
des zweiten Blickes geübt werden kann. An der zentralen Sollbruchstelle
in Thörl, in einem - von den Autobahn-Brückenpfeilern
gebildeten »Kirchenschiff«, sind alle teilnehmenden
Künstler mit einem Werk vertreten.
Zur geführten Bus-Wanderung am Samstag, 2. Juni, muss man
sich anmelden. Wer die Sollbruchstellen auf eigene Faust erkunden
will: Die minimalistischen Markierungen verbleiben bis 24. Juni
in der Landschaft. Ausstellungsbegleitung im Internet. (Uschi
Logge)
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