»Andere
haben heilige Kühe und Drachen verehrt / tausendjährige Schildkröten
und geflügelte Löwen / Einhörner, doppelköpfige Adler
und Phönixe / wir aber haben uns das schönste Tier erwählt
/ es hat sich ausgezeichnet auf Schlachtfeldern und in Zirkuszelten /
es hat Königstöchter gefahren und die goldene Monstranz / deshalb
sprachen die Kaiser in Wien / französisch mit den gewandten Diplomaten
/ italienisch mit den hübschen Schauspielerinnen / spanisch mit dem
unendlichen Gott / und deutsch mit den ungebildeten Knechten / mit den
Pferden aber unterhielten sie sich slowenisch«, schrieb der slowenische
Literat und Kulturminister Edvard Kocbek im Jahr 1977.
Prosaischer klingt die Erklärung des slowenischen Landwirtschaftsministeriums
1999 zur umstrittenen Frage nach der Herkunft der weltberühmten weißen
Pferde: »Der Ursprung der Lipizzaner war und ist Lipica in Slowenien,
diese Tatsache müssen alle Länder, in denen diese Pferde gezüchtet
werden, anerkennen, also auch Österreich.« Slowenien reagierte
damit auf eine wenige Tage zuvor erfolgte Übereinkunft zwischen Italien
und Österreich, worin die Italiener, nach längerem Streit, das
österreichische Bundesgestüt in Piber als Stammbaum der Lipizzanerrasse
anerkannten. Schon oft sind Nationalstaaten wegen Sicherheitsfragen, Zollbestimmungen,
unterschiedlicher Ideologien oder Rohstoffvorkommen in offene Feindschaft
verfallen, selten hatten aber bis dahin Meinungsverschiedenheiten über
tänzelnde Pferde die zwischenstaatlichen Beziehungen getrübt.
Die slowenische Regierung bemühte eigens die Welthandelsorganisation,
um ein für allemal klarzustellen, welches Pferd als Lipizzaner bezeichnet
werden darf. Bei der leidenschaftlich geführten Debatte um die Heimat
der Lipizzaner drohte Österreich ganz unverhohlen mit negativen Auswirkungen
auf den damals bevorstehenden EU-Beitritt Sloweniens. Im April 1999 einigten
sich die Kontrahenten schließlich auf einen Kompromiss: Slowenien
anerkannte die rechtmäßige Zuchtnachfolge des Lipizzanergestüts
im steirischen Piber, im Gegenzug zeigte Österreich Verständnis
für die namensrechtliche Argumentation seines Nachbarn, wonach die
Benennung der weißen Rösser auf das Dorf Lipica im slowenischen
Karst zurückzuführen sei.
Dramatischer als das Imponiergehabe zweier europäischer Kleinstaaten
verlief die Geschichte der Lipizzaner selbst. Haben italienische, spanische
und arabische Rassepferde den Lipizzaner maßgeblich mitgeformt,
so bildete das alteingesessene, bodenständige Karstpferd die Basis
für die spätere Zucht. Schon im Altertum wurden im slowenischen
Karst Pferde gezüchtet und im Mittelalter verwendete man die autochthone
Rasse gerne als Turnier- und Streitrosse. Gerühmt wurde vor allem
deren hoher, "vornehmer" Schritt, der sich laut Hippologen aufgrund
der Oberflächenbeschaffenheit des Karstes entwickelt haben dürfte:
wegen des steinigen, felsigen Bodens waren die Pferde seit jeher gezwungen,
ihre Füße sehr hoch anzuheben. Die kleinen Karstpferde verwendete
man als ausdauernde Saumrosse für Warentransporte von der Adriaküste
ins gebirgige Landesinnere.
Im 16. Jahrhundert gehörten spanische Pferde zur Grundausstattung
europäischer Fürstenhöfe. Auch in der 1572 erstmals für
Wien erwähnten Spanischen Hofreitschule kamen, der adeligen Mode
entsprechend, ausschließlich iberische Tiere zur Verwendung. Da
die Pferdeimporte allmählich zu teuer kamen, entschloss sich der
Wiener Hof zum Aufbau eines eigenen Gestüts. Möglicherweise
hatten ökologische Ähnlichkeiten des slowenischen Karstes mit
der andalusischen Heimat der importierten Modepferde das Ihre zur Standortwahl
beigetragen. 1580 gründete Erzherzog Karl II., Regent von Steiermark,
Kärnten, Krain, Görz, Istrien und Triest, das neue Hofgestüt
in Lipica. Dabei wurden die alteingesessenen Karstpferde als Grundstock
zum Aufbau des neuen Pferdezuchtzentrums herangezogen. Durch Kreuzung
mit ausgesuchten Pferden aus Spanien (Andalusier), Italien (Neapolitaner)
und Arabien entwickelte sich die Lipizzanerrasse.
Mit dem Landgut im Karst erwarben die Habsburger auch die Sommerresidenz
der Triester Bischöfe, laut Kaufvertrag »die Villa des Bisthums
von Triest im Dörfle Lipitza«. Am Westflügel des Schlosses,
wo sich im ersten Stock die Gemächer des Erzherzogs befanden, sind
noch immer die Renaissance-Einflüsse sichtbar, während die anderen
Teile des Gebäudes inzwischen mehrmals umgebaut worden sind. Der
Schlosshof wird im Nordwesten von der velbanca, einem großen Gewölbestall
für Zuchthengste, umgrenzt. Die velbanca war der erste von den Habsburgern
in Lipica getätigte Neubau, als Hinweis auf das Baujahr hatte man
am Eingang der vierzig Meter langen Stallung die Jahreszahl 1703 eingefügt.
Die ursprünglichen Ställe des Landgutes lagen unmittelbar am
Eingang aus Richtung Seæana, wo heute noch die Reste der Grundmauern
zu sehen sind. An derselben Stelle befindet sich ein weiteres der wenigen
verbliebenen Zeugnisse aus den Anfängen des Gestüts: die steinerne
Umrandung des einzigen natürlichen Brunnens, der in vergangenen Zeiten
eine kostbare Quelle fasste.
Unmittelbar nach dem Erwerb Lipicas begannen die Arbeiten für das
Gestüt. Inmitten der steinigen, mit geringem Baumbewuchs versehenen
Landschaft wurde Geröll abgeräumt, wurden Steinmauern errichtet,
kleine Stallungen gebaut, Weiden und Wiesen kultiviert, Zisternen und
Pferdetränken angelegt und Bäume gepflanzt. Schon bald setzte
sich der Brauch durch, dass jeder Pferdeknecht anlässlich eines Hengsttransportes
von Lipica nach Wien drei Eichen pflanzen mussten. Auf diese Weise entstanden
inmitten der kargen Karstlandschaft schattige Alleen für Pferd und
Reiter.
Dolinen wurden mit Humus und Erdreich angefüllt und in mühevoller
Arbeit mit Steinen umfriedet. Dadurch verwandelten sich etliche der für
den Karst so typischen Sickertrichter in fruchtbares Gartenland, das dem
Gestütspersonal zur Bewirtschaftung überlassen wurde. Innerhalb
weniger Jahrzehnte entwickelte sich Lipica zu einer grünen Oase,
zu einem landschaftlichen Kontrastprogramm, das auch dem Pferdefachmann
Gassebner anlässlich seines Besuchs des Karster Hofgestüts im
Jahre 1891 gefiel: »Eine Fahrt über den Karst bietet wenig
Angenehmes. Überall kahle, zerklüftete Felsen, loses Gerölle,
weit und breit kein Baum, kein Strauch, kein erfrischendes Grün.
Nicht einmal ein Vogel ist zu sehen. Die Füchse allein treiben in
den Höhlen ihr Unwesen. Im Sommer wird die Hitze unerträglich,
im Winter tritt die Bora an ihre Stelle. Das ist die Signatur des Karstes.
Zu welcher Jahreszeit man auch kommen mag, immer fühlt man sich unbehaglich.
Kaum aber hat man die Einfassungsmauer von Lipizza passiert, so ändert
sich mit einem Schlage die ganze Szenerie. Grüne Haine und herrliche
Triften lachen uns entgegen, stattlich Bäume erfreuen das müde
Auge, und es fehlt nur das Murmeln eines Baches oder das Rauschen eines
Flusses, um uns in eine andere Welt versetzt zu denken.«
Fünfzehn Jahre nach dem Erwerb des Gestüts in Lipica fanden
bereits 30 junge Pferde Aufnahme in den kaiserlichen Stallungen in Graz.
1739 stellten in Wien 54 Hengste ihr Können zur Schau. Das weiße
Fell der Tiere kristallisierte sich erst im Laufe der Jahrhunderte als
typisches Merkmal der Rasse heraus. Um 1900 demonstrierten bei den Darbietungen
der Spanischen Hofreitschule noch mehrere dunkelbraune Lipizzaner die
hohe Kunst des Dressurreitens.
In der wechselvollen Geschichte des Gestüts spiegeln sich die europäischen
Kriegsverläufe und die daraus resultierenden oftmaligen Grenzverschiebungen
wider. Während die Lipizzaner unter dem Kriegsherrn Eugen von Savoyen
noch selbst gegen die Türken in die Schlacht ziehen mussten, zog
man es im Verlauf der Napoleonischen Kriege vor, die Pferde mehrmals aus
Lipica zu evakuieren. Im März 1796 wurde das kaiserliche Hofgestüt
vor dem anrückenden Franzosenheer geräumt. In sechs Wochen hatten
300 Pferde den mehrere hundert Kilometer langen Weg in ihr Exil südwestlich
von Budapest zurückgelegt. Nach dem Friedensschluss von Campoformio
kehrten sie im Winter 1797 nach Lipica zurück. 1805 befand sich die
Herde erneut auf der Flucht vor der französischen Armee. Diesmal
zog sie nach Slawonien, von wo sie zwei Jahre später unter schwierigsten
Witterungsbedingungen heimkehrte. Ihr drittes Asyl verbrachte sie gar
sechs Jahre (1809 – 1815) in der ungarischen Theiß-Ebene.
Der lange Aufenthalt in ungewohnter Umgebung führte bei den Pferden
allmählich zu Degenerationserscheinungen, die sich im schlechten
Gesundheitszustand und in einer geringeren Fruchtbarkeit äußerten.
An die Anwesenheit der Franzosen in Lipica erinnerten lange Zeit zwei
französische Adler, die am Eingangsportal des Gestüts angebracht
waren. Erst die Italiener nahmen während ihres Interregnums nach
dem Ersten Weltkrieg die Adler ab, da sie glaubten, es handle sich dabei
um germanische Herrschaftssymbole. Mit dem endgültigen Abzug der
Franzosen aus Lipica begann für das Hofgestüt eine neue Blütezeit.
1898 wurde die letzte zur k. u. k. Zeit errichtete Stallung anlässlich
der 50-Jahr-Feier der Regentschaft Kaiser Franz Josephs I. feierlich eingeweiht.
Die Gestütsverwaltung intensivierte den Zuchteinsatz orientalischer
Pferde und orderte zu diesem Zweck eine größere Anzahl von
Araberpferden, die 1857 im Hafen von Triest eintrafen. Die in den erhalten
gebliebenen Zuchtbüchern des 19. Jahrhunderts erwähnten Namen
»Hadudi«, »Ben Azet« oder »Koheilan«
zeugen vom orientalischen Einfluss in dieser Zuchtperiode.
Der Erste Weltkrieg läutete das letzte Kapitel des Habsburgergestüts
in Lipica ein. Am 18. Mai 1915 erhielt die Gestütsverwaltung den
Befehl, die wertvollen Pferde nach Laxenburg bei Wien bzw. Kladrub in
Tschechien zu evakuieren. Der Krieg endete mit dem Zerfall des habsburgischen
Vielvölkerstaates, die Landflächen bei Lipica bekam Italien
zugesprochen. Der italienische Staat forderte die Rückgabe aller
179 in Laxenburg untergebrachten Lipizzaner. Österreich lehnte das
Ansinnen ab, zumal die in Kladrub befindlichen Pferde von der soeben ausgerufenen
Tschechoslowakischen Republik in Beschlag genommen wurden. Schließlich
erarbeiteten Österreich und Italien einen Kompromiss, wonach jedes
Land die Hälfte der in Laxenburg einquartierten Lipizzaner erhielt.
1919 kehrte das italienische Kontingent nach Lipica zurück, ein Jahr
später fanden die österreichischen Lipizzaner eine dauerhafte
Bleibe in Piber in der Steiermark.
Das unter italienischer Verwaltung stehende Lipica wurde kurzerhand in
ein Militärgestüt umgewandelt, die weißen Zuchtpferde
wurden zur Armee eingezogen. Nach der italienischen Kapitulation besetzten
deutsche Truppen das Gestüt im Karst und verlegten den gesamten Pferdebestand
nach Hostinec in Böhmen. Die Lipizzanerpferde aus Piber waren von
den Nazis bereits ein Jahr zuvor nach Hostinec gebracht worden. Die ehemals
habsburgischen, später österreichischen bzw. italienischen und
nunmehr deutschen Lipizzaner fanden ihre Verwandten aus den ebenfalls
von den Nazis besetzten Staaten Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien
in Hostinec wieder.
Gegen Kriegsende lag das 670 Pferde umfassende Gestüt in Hostinec
zwischen den heranrückenden Fronten der amerikanischen und sowjetischen
Armee. Um den Zugriff sowjetischer Militäreinheiten und tschechoslowakischer
Freiheitsbataillone auf die Tiere zu verhindern, eilten die Amerikaner
in den letzten Kriegstagen dem bedrängten Gestüt zu Hilfe. In
Zusammenarbeit mit deutschen Nazioffizieren geleiteten US-Soldaten unter
Einsatz amerikanischer Panzerspähwagen die Pferde ins nahe gelegene
Oberösterreich. Um den Lipizzanern zukünftige Auftritte im sowjetischen
Bolschoitheater zu ersparen, befürwortete der US-Panzergeneral und
Pferdefachmann George Patton auch die Verlegung der Spanischen Hofreitschule
von Wien nach Oberösterreich. Die »heldenhafte Rettungsaktion«
der Lipizzaner durch die amerikanische Armee fand in Hollywood seine filmische
Umsetzung. Im Kalten Krieg produzierte der überzeugte Antikommunist
Walt Disney 1964 den Streifen »Das Wunder der weißen Hengste«.
Neben einem Staraufgebot von Schauspielern (Robert Taylor, Lili Palmer
und Curd Jürgens) wirkten sämtliche Lipizzaner aus Lipica bei
den Dreharbeiten als Statisten mit. Verständlicherweise war der Hollywoodfilm
in den Kinos der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien nicht
zu sehen. Österreich hingegen dankte dem amerikanischen Volk noch
Jahrzehnte später für die einzigartige Rettungsaktion. 1982
waren der österreichische Wirtschaftskammerpräsident Rudolf
Sallinger und Thomas Klestil, damaliger Botschafter in Washington, auf
die Idee gekommen, US-Präsidenten Ronald Reagan bei ihrem Besuch
ein Lipizzanerpferd zu schenken. Dem österreichischen Kulturverständnis
entsprechend hörte das vierbeinige Gastgeschenk auf den Namen »Amadeus«.
Einen strikten Antikommunismus verfolgten die alliierten Westmächte
auch bei der Rückführung der von den Nazis geraubten Lipizzaner.
Während Österreich (97 Pferde) und Italien (107 Pferde) das
Gros zugesprochen bekamen, erhielt Jugoslawien nach langwierigen Verhandlungen
nur elf Lipizzaner zurück. Das war der kümmerliche Rest der
stolzen Lipizzanerherde von 179 Pferden, die 1943 Lipica verlassen hatte.
In den ehrgeizigen Aufbauplänen des sozialistischen Jugoslawien fand
das Gestüt in Lipica nur geringe Aufmerksamkeit. Die Ratlosigkeit
im Umgang mit dem Lipizzanergestüt äußerte sich in häufigen
Umstrukturierungen des Verwaltungsapparates. Lipica war abwechselnd den
Bundesbehörden, der Republiksverwaltung, dem Landwirtschaftsministerium
und ab 1959 gar dem Import-Export-Unternehmen »Jadran« Seæana
unterstellt. Die jugoslawische Pferdezucht steckte neben ökonomischer
Schwierigkeiten auch in einer ideologischen Krise. Sozialistische Modernisierungstheoretiker
betrachteten das Pferd als Hindernis für die forcierte Mechanisierung
der Landwirtschaft und einer gesellschaftlichen Neugestaltung des Dorfes.
Dem Fortschrittsdenken entsprechend gab es Ende der sechziger Jahre im
gesamten Gemeindegebiet von Seæana, abgesehen vom Gestüt in
Lipica, nur noch fünf Pferde. Die finanziellen Mittel zur Erhaltung
Lipicas wurden sukzessive gekürzt und in den späten fünfziger
Jahren dachte man sogar daran, das Gestüt aufzulösen oder in
Kroatien anzusiedeln. Marschall Tito bereitete den Diskussionen um Lipica
ein Ende, indem er sich 1960 unmissverständlich für die Erhaltung
dieses »europäischen Kulturdenkmals« aussprach. Im Mai
1996 folgte die mittlerweile selbstständige Republik Slowenien dieser
Empfehlung und erklärte Lipica zum nationalen Kulturdenkmal.
Konsequent wird von der slowenischen Regierung der seit den sechziger
Jahren beschrittene Weg der touristischen Vermarktung verfolgt. Seit 1989
wird das Gestüt mit dem vielsagenden Namen »Touristisches Pferdezuchtzentrum
Lipica« als eigenständiger Betrieb geführt. Heute stehen
dem sportbegeisterten Gast in Lipica zwei Hotels, Reithallen und offenes
Reitgelände, ein Hippodrom, Tennisanlagen sowie ein Golfplatz zur
Verfügung. Auch auf das obligatorische Spielcasino hat man nicht
vergessen – wo auf den spielfreudigen Besucher Pferdewettautomaten
warten. (Werner Koroschitz) |