Liebe Preisträger, meine sehr geehrten
Damen und Herren!
Dragi nagrajenci, spoštovane gospe in gospodje!
Wenn eine Nicht-Kärntnerin wie ich die Laudatio zur Verleihung
des Vinzenz-Rizzi-Preises halten darf, so muss sie sich erst einmal
über den Namenspatron dieses Preises informieren. Und eine
solche Vorbereitung lohnt sich, denn man stößt dabei
u. a. auf eine Auseinandersetzung des Jahres 1855, die auch heute
noch nicht abgeschlossen zu sein scheint:
Als Herausgeber der Klagenfurter Zeitung wurde Rizzi von der konkurrierenden
Zeitung Carinthia (Hg. Simon Martin Mayer) angegriffen, weil er
im Feuilleton angeblich einen leichten, unernsten und der Kultur
unwürdigen Ton eingeführt habe; darauf konterte Rizzi,
den wahren Patriotismus habe prinzipiell niemand für sich
allein gepachtet – auch und gerade für einen wirklichen
Patrioten sei eine Verbindung von Ernst und Scherz möglich.
Denn: nur das Langweilige, das Aufgedunsene und innerlich Hohle
müsse das Komische fürchten. Wer hingegen seine Materie
beherrsche, der könne sie auch leicht behandeln.
Torej je Vinzenz Rizzi v tako imenovani »Prvi Celovški
tiskovalni vojni« s konkurentom svojega časopisa
branil pravo patriota, da v svojem razumevanju kulture poveže
resnobo s veseljem. Duhovite komike se mora bati samo dolgočasno,
ošabno, notranje votlo prikazovanje.
Primer takšnega mišljenja je ena fotografija na
razstavi, ki jo je UNIKUM pripravil lani v sodelovanju s Slovenskim
prosvetnim društvom ZARJA: Slika iz leta 1947 prikazuje
nemško-nacionalni napis v Velikovcu – na steni lahko
uganemo izbrisano nemško besedo »VERRÄTER«
(to je izdajávec) samo iz bele barve na sivíni,
ampak za isto besedo, napisano drugič, je očitno
uporabljen slovenski pravopis.
Ich habe gerade ein neueres Beispiel für die von Vinzenz
Rizzi vertretene Auffassung geschildert, dass aller gebotene Ernst
die Komik nicht ausschließt: Im Völkermarkt des Jahres
1947 wurde »Verräter« an eine Hauswand geschmiert
und so gründlich gelöscht, dass die Buchstaben des deutschen
Wortes als weiße Spur auf grauem Grund erhalten blieben.
In einer neuerlichen Schmiererei erscheint das ursprüngliche
Wort wieder, nun allerdings in slowenischer Orthographie: »VERETER«.
In der realen Auseinandersetzung der Nachkriegszeit, quasi in
der Hitze des Gefechts, wurde dem Schreiber sicher nicht bewusst,
dass er damit weniger den deutschen als gerade den slowenischen
Anteil an seiner eigenen Sozialisierung zur Schau stellte –
eben jener slowenische Anteil der eigenen Gesellschaft, der als
das Fremde schlechthin abgespalten und angeprangert werden sollte,
wird unfreiwillig als das Eigene ausgewiesen. Im deutsch-nationalen
Kontext hingegen stellt da jemand schlicht und einfach seine Halbbildung
zur Schau.
Die unfreiwillige Komik dieser historischen Schmiererei gibt sich
in der photographischen Wiedergabe zu erkennen, die uns das Universitätskulturzentrum
UNIKUM in Zusammenarbeit mit dem Slowenischen Kulturverein ZARJA
vor Augen führte; der Titel jener Ausstellung des vorigen
Jahres lautete, wie immer zweisprachig: »Zusammen/Stöße
– Erinnerungssplitter einer Grenzregion«, »Na/Proti
– Drobci z obmejnega območja«. Und dieser Titel ist,
wie auch die geschilderte Photographie, Programm für die
Arbeit des UNIKUM:
Emil Krištof und Gerhard Pilgram arbeiten nicht nur geographisch
in einer Grenzregion; die Grenze existiert bekanntlich auch in
den Köpfen. Diese Situation verlangt Parteinahme und Kritik,
aber sind es tatsächlich nur zwei Parteien, für deren
eine oder andere man sich entscheiden kann, ja muss? Ist die Wahl
tatsächlich eine ausschließliche nach dem Muster ›Entweder
– oder‹? In den Kulturwissenschaften wird derzeit,
nach dem Ende der großen Machtblöcke und des Kalten
Krieges, immer häufiger eine dritte Möglichkeit für
Entscheidungen eingefordert, die menschliche Identität betreffend.
Unser Duo Krištof / Pilgram gehört zu den Vorreitern
dieser Forderung: Seit den Anfängen des UNIKUM setzen sie
an die Stelle polemischer Ausschließlichkeit und propagandistischen
Pseudo-Ernstes einen spielerischen Umgang mit der Zersplitterung
einer Region, die es zu heilen gilt, und mit »heilen«
meine ich »heil machen« im ureigenen Sinne des Wortes:
wieder ganz machen.
Damit steht uns – wie Vinzenz Rizzi es sich gewünscht
hatte – der große Ernst vor Augen, mit dem ein spielendes
Kind die vielen Teile eines Puzzles zusammensucht und zusammenhält,
um daraus sein Bild zusammen zu setzen, ein neues Bild, in dem
doch alle vorgeprägten Teile ihren Platz finden. Denn: Spiel
bedeutet nicht Willkür, jedes Spiel folgt Regeln, aber seinen
eigenen Regeln, und die können durchaus andere sein als die
Regeln des so genannten richtigen Lebens. Und wir alle wissen,
dass Spielregeln nicht unwiderruflich feststehen, sondern unter
Spielern und Spielerinnen gelegentlich neu auszuhandeln sind.
Lahko se tudi mi dogovorimo – na jezikovni preklop:
če razumemo UNIKUMovo obdelavo neke teme kot resnobno igro,
je njihova posebnost v pravilih te igre. Najprej nas zbode v oči,
ko nam dvovprega Krištof / Pilgram predloži razširjeno
zaznavo, na primer v naravi. Na bolj ali manj dolgih sprehodih
nam avtorja okrepita vid, sluh, tip s preprostimi sredstvi –
konzervna škatla, obešena na drevesu, zbira zračne
tresljaje, prenesene čez veje, in jih pošlje do
našega bobniča; lesena greda odpira cel svet zvenenja
v potočni strugi; jeklene strune preobrazijo planinsko
hišico v velikansko kitaro, na katero se da igrati, in
tako dalje. človeška dojemljivost se, tako rekoč,
razmnoži, tako da pridobi posameznik vtise raznih živih
bitij iz raznorodnih svetov.
Die Regeln, die das ernste Spiel der UNIKUMsarbeit bestimmen,
besagen zunächst, dass unsere normale menschliche Wahrnehmung
nicht die einzig mögliche und schon gar nicht die einzig
wahre ist – von diesem Vorurteil müssen wir uns auf
einer Wanderung mit Emil und Gerhard verabschieden. Statt dessen
werden entlang von Wanderwegen mit einfachsten Mitteln neue Versuchsanordnungen
aufgebaut, die es – buchstäblich – zu durchlaufen
gilt. Eine leere Konservendose wird in einen Baum gehängt,
wo sich Schwingungen aus der Luft, übertragen durch die Zweige,
in der Büchse fangen und verstärkt werden, so dass das
menschliche Trommelfell sie empfangen kann; ein hölzerner
Stecken dient gleichsam als Schlüssel zu einer ganzen Welt
des Rauschens und Blubberns in einem Bachbett; Stahlsaiten verwandeln
eine Almhütte in ein riesiges Saiteninstrument, auf dem wir
selber spielen und den Klang der Hütte erfahren können,
u. s. w. Bereits diese wenigen Beispiele zeigen, dass das UNIKUM
unsere Sinneswahrnehmung in die Lebensbereiche anderer Lebewesen
hinein ausdehnt – unser alltägliches Bild von der Welt
verändert sich, sobald wir uns spielerisch auf die Versuchsanordnungen
einlassen, in geradezu verblüffender Weise.
Einen Spezialfall der veränderbaren Wahrnehmung stellen für
Emil Krištof und Gerhard Pilgram die weißen Flecken
in unserer Selbstwahrnehmung und unserer Sicht der eigenen Geschichte
dar – betrachten wir diese doch versuchsweise einmal spielerisch,
indem wir existierende Sichtweisen konsequent durchspielen! Als
Beispiel greife ich die UNIKUMs-Ausstellung »Koffer / Kovček«
des Jahres 2005 heraus: In diesem Koffer wurde volkskundliches
Pseudo-Wissen über ‚die Anderen’ in gegenständlicher
Form gesammelt. Fragen wie »Bin ich ein Slowene? Ali sem
Nemec?«, »Wie haust der Slowene?«, »Wie
heißt der Slowene?« oder einfach »Slawisches
Blut (dick und schwer)« wurden samt ihren stereotypen Antworten
auf Spielkarten, in Fläschchen und in Schachteln verpackt
und in einem Koffer weggeschlossen. Der konkrete Koffer ließ
sich aber natürlich auch wieder öffnen – dann
kamen die Inhalte wieder zutage ... Die historischen Stereotype
lassen sich so als ernsthaftes Spiel betrachten, denn sie sind
in einem doppelten Sinne aufgehoben: Sie werden aufbewahrt als
Überlieferung eines historisch wirksamen Geschehens, zugleich
aber werden sie als Stereotype unwirksam: Sie werden nämlich
durch die künstlerische Bearbeitung als Stereotype bewusst
gemacht und dem erlösenden Lachen preisgegeben.
Und noch eine weitere Spielregel stützt den künstlerischen
Umgang des UNIKUM mit seinen Themen: die Regel der strikten Zwei-
oder, fallweise, auch Mehrsprachigkeit, um die eine Zugereiste
wie ich die Kärntner Sloweninnen und Slowenen nur beneiden
kann. Denn: was bedeutet Zweisprachigkeit für menschliches
Bewusstsein?
Wir alle übersetzen ständig Eindrücke unserer Sinneswahrnehmung
in Sprache. Was hast du gesehen? Hast du das gehört? Wie
fühlte sich das an? Wie schmeckt denn das? Die möglichen
Antworten, ganz normale alltägliche Sätze, sind jedes
Mal Übersetzungen aus dem Medium der angesprochenen Sinnesorgane
in Sprache. Wenn solche sprachlichen Formulierungen von Sinneseindrücken
nun nicht nur eine, sondern zwei Sprachen zum Ziel haben, dann
ergeben sich, vom sprachfähigen Bewusstsein her gesehen,
zwei unterschiedliche Perspektiven auf ein und dieselbe Sache.
Wer die Welt aber aus zwei Perspektiven sehen kann, sieht sie
nicht einseitig, sofern er oder sie den unterschiedlichen sprachlichen
Systemen ihre Eigenständigkeit belässt und nicht nur
eins zu eins wie ein schlechtes Computerprogramm übersetzt.
Dann können sogar Kollisionen verschiedener Sprachsysteme
mit leichtfüßigem Ernst herbeigeführt werden,
wie etwa in der UNIKUMs-Aktion »Haček (k)lebt«, oder
unser Duo richtet einen bunten Mischmasch an und lässt uns
mit kindlicher Freude in unserer »Buhštabenzupe«
rühren.
Angesichts dieser künstlerisch-philosophischen Leistungen
stelle ich mir seit geraumer Zeit die Frage: Wie kann man sich
diese spielerische Leichtigkeit durch so viele Jahre und Projekte
hindurch bewahren, ohne in den eigenen Spielregeln zu verknöchern
und genau so verbissen zu agieren – nicht wie ›die‹, sondern
wie manche anderen? Gibt es eine übergeordnete Regel, gleichsam
eine Meta-Spielregel?
Morebitni odgovor na to vprašanje je morda dal eden izmed prejemnikov
Rizzijeve nagrade: moj spoštovani kolega in prijatelj Karl Stuhlpfarrer,
ki bi se današnje podelitve nagrade UNIKUMu iz srca razveselil.
Karla Stuhlpfarrerja so danes dopoldne na Dunaju pospremili na
zadnjo pot.
Eine mögliche Antwort auf meine Frage hat vielleicht ein
anderer Rizzi-Preisträger gegeben: mein verehrter Kollege
und Freund Karl Stuhlpfarrer, der sich über die heutige Verleihung
des Preises an das UNIKUM von Herzen gefreut hätte. Karl
Stuhlpfarrer ist heute Vormittag in der Feuerhalle Wien-Simmering
aus dieser Welt und damit auch aus unserem Leben verabschiedet
worden. Wir werden ihn nicht mehr zu uns sprechen hören in
seiner ruhigen, überlegten und so oft auch zu spielerischer
Ironie geneigten Art.
Und ich möchte mir gemeinsam mit Ihnen ein Interview zum
Thema »Erinnerungskulturen« vergegenwärtigen,
das Karl Stuhlpfarrer noch im März dieses Jahres meiner Kollegin
Alice Pechriggl für die »Philosophische Audiothek«
einer Arbeitsgruppe an der Universität Wien gegeben hat:
Sie fragte Carlone, wie er sich gern nennen ließ, auf welche
Weise ein einzelner Forscher es überhaupt ertragen könne,
sich immer und immer wieder mit all dem Unrecht zu konfrontieren,
das den Alpen-Adria-Raum im 20. Jahrhundert so schmerzhaft zersplittert
hat. In seiner Antwort nannte er zwei Verhaltensweisen, die ihm
wesentlich schienen: Man dürfe sich nie restlos identifizieren,
auch nicht mit dem erschütterndsten menschlichen Leid, und
v. a. müsse man immer zusammen mit anderen, im Gespräch
mit ihnen arbeiten.
Mir scheint, diese beiden Regeln sagen auch etwas über die
Arbeit der heurigen Rizzi-Preisträger aus: Auch sie identifizieren
sich, aber nie restlos und niemals verbissen, wenn sie in ihren
künstlerischen Versuchsanordnungen eine Veränderung
des Standortes und damit der Perspektive und der Wahrnehmung anregen
– sie bleiben frei, beweglich und leicht. Ein solches Denken
tritt dann seinerseits leicht in einen Dialog mit anderen, mit
anderen Künstlerinnen und Künstlern, mit Partnerorganisationen
und mit uns, dem Publikum, das in stetig wachsender Zahl mitgeht
auf die forschenden Wanderungen – und mit Wanderungen meine
ich nicht nur die eigentlichen Exkursionen, sondern sämtliche
Aktivitäten des UNIKUM.
Vielleicht hat der Zeitgeschichtler also auch eine Spielregel
für die Künstler formuliert? Zu der Vielfalt möglicher
Perspektiven, die sich hier eröffnen, kann ich allen abschließend
nur gratulieren: den Künstlern Emil und Gerhard, dem Slowenischen
Zentralverband, den Historikern und Historikerinnen und uns allen,
die wir gemeinsam mit dem UNIKUM in spielerischem Ernst auf unsere
Region und unsere Welt schauen dürfen. |