von Marlene
Streeruwitz
Luft holen. Zweimal kurz. Einmal lang.
Unlängst. Ein alter Bekannter. Wir haben einander lange nicht gesehen.
Er kommt ins Café Eiles. Ich sitze da. Mit jemandem anderen. Eine
Begrüßung. Die üblichen Ausrufe, einander nach Jahren
wieder einmal über den Weg zu laufen und wie es denn so ginge. Der
Bekannte war einmal eine literarische Hoffnung gewesen. Die Erwartungen.
Die Anforderungen. Die Übersiedlung nach Wien. Was auch immer. Die
Hoffnung wurde nie zu Wirklichkeit. Im Café Eiles unlängst
dann. Zuerst die übliche Vereinbarung, einander möglichst bald
zu treffen. Einander sehen zu wollen. Und dann der Austausch der emailadressen.
Gleich am nächsten Tag eine mail.
»seit einem jahr erlebe ich eine neue erfahrung.
so ich alte gute bekannte treffe, die moeglicherweise
innerlich jung geblieben sind, jetzt doch alt aussehen,
faellt mir der letzte band der recherche ein, die wieder
gefundene zeit. die grossen skandale sind verrauscht,…«
Danach folgte ein Klagenkatalog von der BAWAG Affaire bis zur EU Präsidentschaft.
Ich schnappte nach Luft. Zuerst einmal. Dann breitete sich die Kränkung
aus. Ich schnappte wieder nach Luft. Wenn es um das Alter geht. Da ist
die Scham schon so eingebaut, daß die Reaktionen gleich in dieses
Achselzucken hinübergleiten. Dieses Achselzucken, das einem oder
einer selber klar machen soll, daß es nun einmal so ist. Daß
einer oder eine ja nun einmal alt wird. Älter. Älter aussieht.
Daß Eitelkeiten lächerlich wären. Lächerlich sind.
Und daß das nun eben zu ertragen sei. Leute können von einem
oder einer sagen, daß er oder sie alt aussieht. Ich holte tief Luft.
Tief Luft holen ist mit einer Aufrichtung verbunden. Das tut dem Körper
Ich gut. Der Kopf wird über die zurückgeschobenen Schultern,
die der Lunge Raum geben, zurückgeschoben. Nach oben geschoben. »Halt«
sagt diese Bewegung. »Da schau noch einmal genauer. Aus dieser Haltung
schau noch einmal genauer hin. Laß dich nicht gleich in die Akzeptanz
fallen. In das Schnelle Flüchten aus dem unangenehmen Raum des Alterns.
Schau noch einmal, was es mit dem Alt Aussehen hier auf sich hat.«
Ich schrieb also zurück:
»danke für die nahtlose einnähung meines alt aussehens
in deine befindlichkeiten. hätten wir jung sterben sollen, deiner
meinung nach, um deiner melancholie schönere nahrung zu sein. wenn
du keinen anderen standpunkt entwickeln kannst als diese vorwurfsvolle
schadenfreude, dann halte ich dir entgegen, daß die einen würdig
aussehen und die anderen nicht. gleichgültig wie alt oder jung geblieben.
da nun mein alt aussehen grammatikalisch der grund für deine eingebungen
ist, ›so ich‹ ›jetzt jedoch‹ ›fällt
mir‹... denke ich, daß meine möglichkeiten für dich
erschöpft sind. mach dir lieber einmal die basis deiner herablassung
klar und dann denke politik. ciao
marlene«
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