Bettina Pirker | Vitalienschwester  
 
 
In fünf Schritten zum Aufstand
Einen Grund für einen Aufstand gibt es auf jedem guten Schiff, so auch auf der D.S.S. Morgenröte|Zora. Viele glauben, dass so ein Aufstand von allein entsteht, doch dem ist nicht so. Jeder Aufstand braucht eine penible Planung. Allen unzufriedenen Matrosinnen und Matrosen, Revolutionärinnen und Revolutionären, Aufmüpfigen und Aufständischen wird daher folgende Vorgehensweise empfohlen.
 
Seien Sie dagegen
Die werten Leserinnen und Leser dieser Zeilen, werden — wenn sie echte Aufständische sind — gegen diese Ratschläge sein. Gut so, denn diese Einstellung ist die beste Voraussetzung für einen Aufstand. Nutzen Sie sie! Zeigen Sie mit dem Finger auf Missstände und schnell werden sich Leute finden, die ebenfalls dagegen sind.
Hier auf dem Schiff bekommen wir täglich nur Kartoffeln zu essen, im Packeis ist es kalt und die Schlafstätten sind unbequem. Die Mannschaft nickt zustimmend, ein Wir-Gefühl entsteht durch die gemeinsame Ablehnung der Kartoffeln, der Kälte und der harten Pritschen. »Wir sind dagegen!«
 
Beschränken Sie sich auf drei Themen
Hin und wieder sind Ihnen sicher schon Menschen begegnet, die nicht bis 3 zählen können. Bedenken Sie das bei der Wahl ihrer Themen — desto weniger, desto besser! Machen Sie für sich eine Liste aller Missstände und wählen Sie die wichtigsten drei aus. Alle anderen Themen vergessen Sie wieder. Die 3 ist eine gute Zahl. Bei sportlichen Wettbewerben werden die ersten 3 Plätze prämiert, Steve Jobs war bei seinen Produktpräsentationen mit der Vorstellung von 3 Punkten durchwegs erfolgreich, Klee hat meistens nur 3 Blätter. Sie sehen schon, auch ich beschränke mich auf die magischen 3. Empfehlenswert ist es, die 3 ausgewählten Themen als kurze und eingängige Slogans zu formulieren und passende #Hashtags anzubieten: »Schluss mit Kartoffeln!« (#nopotato), »Nie wieder frieren!« (#fckkälte), »Pritschen sind scheiße!« (#gutenacht).
 
Benennen Sie Schuldige
Ein gemeinsamer Feind verbindet, das funktioniert beim Mobbing in der Schule genauso gut, wie bei der Kriegstreiberei und eben auch bei Aufständen. Wählen Sie dafür eine Person aus, die entweder weit weg und bekannt ist (zum Beispiel Bill Gates) oder eine Gruppe von Personen, die nichts hat und sich nicht zur Wehr setzen kann (Flüchtlinge eignen sich, wie wir wissen, für jedes Problem). Wenn Sie einen Schuldigen haben, ersparen Sie sich die Mühe komplexe Zusammenhänge zu erklären und noch komplexere Lösungswege auszuarbeiten. Auf der D.S.S. Morgenröte|Zora ist selbstverständlich der Küchenjunge schuld an den täglichen Kartoffeln, ist er es doch, der sie schält und serviert. An der Kälte im Packeis ist Greta mit ihrer Klimaschutzbewegung schuld. Auf harten Pritschen müssen wir schlafen, weil die linkslinken Gutmenschen alle weichen Matratzen an Reptiloiden verschenkt haben. So viele Feinde könnten verwirrend sein, also konzentrieren wir uns vorzugsweise auf den linkslinken, reptiliengesichtigen Schiffsjungen, der freitags fürs Klima streikt.
Sollten Sie aus ethischen, menschenrechtlichen oder anderen Gründen diesen Tipp nicht beherzigen wollen, können Sie einen schnellen Aufstand mit vielen TeilnehmerInnen vergessen. Stattdessen müssen Sie einen langen und mühevollen Weg beschreiten, mit vielen Diskussionen, der aufwendigen Suche nach Verbündeten und langwierigen Erklärungen von komplexen Zusammenhängen und Sachverhalten. Im Falle der D.S.S. Morgenröte|Zora müsste ich die Ursachen unserer Probleme analysieren. Fragen, woher der massive Kohlemangel stammt, obwohl auf der Welt doch genug Kohle für alle da ist. Und dann müssten sich alle solidarisch zusammenschließen und jenes gesellschaftliche System, das für die ungleiche Verteilung der Ressourcen verantwortlich ist, von Grund auf verändern. Sie verstehen nun sicherlich, warum ich lieber die Besatzung gegen den Küchenjungen aufhetze.
 
Bereiten Sie Revolutionsmaterialien vor
Die Aufständischen von heute, sind es gewohnt, dass ihnen die für den Aufstand notwendigen Materialien zur Verfügung gestellt werden. Sorgen Sie daher rechtzeitig vor und sorgen Sie für ausreichend Mistgabeln, Fackeln und ähnliche Revolutionsmaterialien. Mancherorts erfreuen sich aber auch Schilder aus Karton mit lustigen Sprüchen und Bildern immer größerer Beliebtheit.
Da es sich bei der D.S.S. Morgenröte|Zora um ein Schiff aus Holz handelt, werde ich auf die Verteilung von Fackeln verzichten. Auch Mistgabeln sind an Bord eher rar. Doch die Segel sind gut geeignet, um daraus schöne Transparente auszuschneiden und mit den Slogans zu versehen. Sind die Materialen ansprechend gestaltet und leicht zu tragen, sind die Aufständischen nach einer motivierenden Aufforderung zumeist gerne bereit sie hoch zu halten. Manche lassen sich sogar mit dem ausgewählten Revolutionsmaterial fotografisch ablichten, um die Botschaften des Aufstandes in die Welt zu schicken und der Nachwelt ein historisches Beweisstück für die Teilnahme am Aufstand zu hinterlassen.
 
Bleiben Sie auf der Planke
Als Anführerin eines Aufstandes stehen Sie nie auf sicherem Boden. Auf der einen Seite kämpfen Sie gegen die Missstände und deren zumeist mächtige Verursacher, die versuchen Sie (durch Bestechung, Rufschädigung oder Hinrichtung) zum Schweigen zu bringen. Auf der anderen Seite wenden sich ihre AnhängerInnen schnell wieder von ihnen ab. Sei es, weil sie keine rasche Veränderung feststellen können, weil ihnen der Aufstand zu langweilig geworden ist, die Musik nicht gefällt, die Reden zu lang sind oder weil es trotz des Aufstandes immer noch zu wenig Kohle für die Heimreise aus dem Packeis gibt. So oder so, mein Platz auf der D.S.S. Morgenröte|Zora ist die Planke: »¡Viva la revolución!« Bleiben Sie widerständig und schicken Sie uns Kohle!