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Wolfgang Koch: Art Must Rogy
Impertinenz, expressionistische Willkür und immerwährende Gebetsbereitschaft im Conceptual turn. Auszüge aus dem Vortrag bei dem »Parteitag der Kunst« am 24. Mai 2019 in Klagenfurt/ Celovec
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1# George und Duchamp
Ich bin der Eine und bin Beide
Ich bin der zeuger bin der schooss
Ich bin der degen und die scheide
Ich bin das opfer bin der stoss
Ich bin die sicht und bin der seher
Ich bin der bogen bin der bolz
Ich bin der altar und der fleher
Ich bin das feuer und das holz
Ich bin der reiche bin der bare
Ich bin das zeichen bin der sinn
Ich bin der schatten bin der wahre
Ich bin ein end und ein beginn.
In diesem programmatischen Gedicht von 1913 vertrat der deutsche Mallarmé, Stefan George, seinen Anspruch als Mahner, Künder und Seher. Hier übernahm die Dichtung in deutscher Sprache erstmals selbstbewusst und offen Aufgaben und Funktionen, die bis dato den Priester*innen und den Prophet*innen in den Religionsgemeinschaften vorbehalten waren.
Georges Mitstreiter Ludwig Klages präzisierte die Vorstellungen eines neuen Zeitalters noch: In Kunst und Dichtung sollte es um »Einfühlung«, um »Schauung« und »geistigen Gehorsam« gehen. Die ausserkosmische Gewalt des Geistes musste in ein fruchtbares Verhältnis zum allein schöpferischen Lebens- und Seelengrund des Menschen gebracht werden.
Im selben Jahr 1913, als George seine Kunstsendung darlegte, hob der französische Künstler Marcel Duchamp den kategorischen Unterschied zwischen Kunst und Nichtkunst auf – und zwar zugunsten der Nichtkunst. Duchamp war damals gerade aus München, Wien und Basel nach Paris zurückgekehrt und plädierte für Verrätselung und Unabgeschlossenheit des Werks. Die Kunst sollte an das Kunst machende Individuum selbst und dessen engstes Mileu gerichtet werden. Der Sinn der kreativen Handlung lag in der Selbstkultivierung der Künstler*in, nicht mehr im Erschaffen neuer physischer Objekte.
Wir nennen diese beiden Strömungen der Moderne, die ich gerade an George und Duchamp skizziert habe, heute den Conceptual turn, die informationelle Wende, in der Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Aufgabe der Kunst war es nicht mehr, Schönheit hervorzubringen, sondern schlicht den Horizont des menschlichen Vorstellungsvermögens hinauszuschieben. Duchamp sprach von einem »ästhetischen Echo«, einer rational nicht fassbaren Anziehungskraft des Kunstwerkes. Der einzige Existenzgrund dieses Gebildes sollte darin bestehen, in geistige Regionen vorzudringen, die das rationalistische Denken nicht kennt.
Im Nichtwissen, im Unfassbaren, lag das Geheimnis der Erscheinungen. Kunst sollte einen neuen, überraschenden Gedanken für den Gegenstand schaffen. Sie basierte auf der Fähigkeit der Künstler*in, die Welt neu zu erfahren und zu denken. Die Avantgarde spielte mit der aufregenden Idee, dass jeder Gegenstand das Ab-Bild einer unerforschten Dimension der Wirklichkeit ist.
Aus diesen Überlegungen ist das berühmte Readymade hervorgegangen und hat doch zugleich zu einem gewaltigen Missverständnis in der Kunst des 20. Jahrhunderts geführt. Dieses Missverständnis wurde von André Breton in seiner Definition von 1936 deutlich ausgesprochen. Er nannte das Readymade einen »Gebrauchsgegenstand, der allein durch die Wahl der Künstler*in den Rang eines Kunstgegenstandes gehoben wird«. Mit dieser Position begann einer breiter Prozess der Verklärung des Trivalobjekts zum Kunstwerk, es begann die beispiellose Heroisierung der künstlerischen Definitionsmacht und eine bis heute wirksame Hochschätzung des Unergründlichen und Rätselhaften in der Kunst.
Der wichtigste Duchamp-Forscher im deutschen Sprachraum ist der Kölner Kunsthistoriker Herbert Molderings. Er beschäftigt sich seit dreissig Jahren intensiv mit dem Künstler. In seinen neuesten Studien sagt Molderings: »Kaum eine Werkinterpretation der Moderne hat das zeitgenössische Kunstschaffen so nachhaltig beschädigt wie die reduktionistische Perspektive auf das Readymade« (2019).
Warum das? Nun, zwei Jahrzehnte lang waren Duchamps »epistemischen Dinge« nichts als Atelierwerkzeuge, Objekte der reinen Anschauung, die nicht ausgestellt wurden. Duchamp sah Maschine, Naturwissenschaft und Technik als Grundlagen zur Erneuerung der Kunst an, und er prüfte mit den Experimentalobjekten im Atelier seine privaten Theorien. Nie sah er den Flaschentrockner und das Urinoir als Mittel der Provokation an oder bewunderte an ihnen bloss das ästhetisch Schöne.
Die Kulturlogik des 20. Jahrhunderts hat sich vorschnell und breitenwirksam mit Bretons verkürzter Sicht der Dinge zufrieden gegeben. Sie suchte spektakuläre Effekte, räumte Duchamp zwar einen Platz im Parnass ein, überging aber atemlos die Beobachtung jener »hauchdünner« Verschiebungen (inframince), die er in seiner Arbeit suchte.
Duchamp hat sich intensiv in das naturwissenschaftliche Wissen seiner Zeit vertieft; er wollte Ikonographie und Raumillusion gegen die ihm verhasste Abstraktion neu in Stellung bringen und ein Äquivalent schaffen für einen »vierdimensionalen Hyperraum«. Duchamp hat sich nicht plump gegen die Kallistik gestemmt, also gegen die Vorstellung, dass Kunst auf ästhetischen Wohlgefallen gründet.
Er dachte: alle dreidimensionalen Gegenstände, die wir arglos betrachten, sind Projektionen von und unbekannten vierdimensionalen Formen, die selbst wieder Bilder sind. Jede Erscheinung ist nicht nur ein Schnitt durch den Raum, sondern auch ein Schnitt durch die Zeit. Jedes Ding im momentanen Ruhezustand ist in einer Dimension höher in einer unsichtbaren Form der Bewegung.
Viktor Rogys Leistung ab den 1960er-Jahren liegt darin, dass er den Begriff des Readymades um zwei Dimensionen erweitert hat: a) um die Dimension des gedruckten Bildes und des gedruckten Textes, und b) um die Dimension der Architektur. Im ersten Fall wirkte er nicht alleine auf weiter Flur, im zweiten Fall aber durchaus.
Man müsste vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Duchamp-Forschung zunächst die Frage stellen, ob Rogy der falschen reduktionistischen Perspektive seiner Epoche auf den Leim gegangen ist. Wenn das geklärt ist, könnte man weiter fragen, was bei in seinem Schaffen und Experimentieren die Stelle des naturwissenschaftlichem und technischem Wissen eingenommen hat. War es die Mystik, die bei Rogy in dieselben Funktion wirksam wurde wie bei Duchamp die Maschine – in der Funktion, einen hermetisches »Erfahrungsraum« zu erzeugen?
Im Anschluss an die Beantwortung dieser Fragen müsste sich trefflich zeigen lassen, welchen Obskurantismuseffekt das Werk erlitten hat, indem Rogy Elemente der christlichen Asketik, des Rosenkreutzer- und des Freimaurertums, der Lehren des Buddhismus, des Taoismus und des Maler-Dichters Bô Yin Râ [Joseph Anton Schneiderfranken] in seine Fund- und Gedankenkunst aufnahm.
[……]
4# Universum der Trottel
Rogy drückte die Dreiteilung der Menschheit in seiner bekannten Formel »Trottel/ Intelligenztrottel/ Welttrottel« aus. Die Masse der Menschen bildeten in diesem Weltbild die Trottel. Ihre Steigerung waren die Gebildeten und die Intellektuellen; »Intelligenztrottel« ist ein Ausdruck von Karl Kraus, geprägt für die Verirrungen von seinesgleichen.
Das Verhältnis der drei Gruppen untereinander war für Rogy seit jeher mit schweren Konflikten belastet. Besonders der Welttrottel hatte es schwer. Er besass nur dann eine Chance, sich unter den restlichen Kreaturen gebührend Gehör zu verschaffen, wenn er den Gruppenkonsens der Intelligenztrottel gegen die Mehrheit der Trottel einhielt.
Genau das aber ist Rogy nicht immer gelungen. Der österreichische Künstler brachte es Anfang der 1980er-Jahre wohl zu ersten Auslandserfolgen, steigerte sich in den folgenden Jahren aber so sehr in die Rolle eines »grossen Verkannten« hinein, dass wir, die Unterstützer*innen und Freunde, für ihn nur noch die zufällig anwesenden Vertreter der amorphen Masse waren, der etwas eingetrichtert werden musste; die Vertreter*innen einer Ordnung, die er gegen ihren Willen und gegen ihre Instinkte in eine Verwandlung hinein schwätzte.
Wir hörten von ihm: »Diese Trotteln!«, und wir hielten die anderen dafür; er nannte uns: »Ihr Trotteln«, und wir schämten uns augenblicklich für ihn. Das Verblüffende an diesen ungerechten Schimpftiraden war, dass wir zwar für den Augenblick einem Blendwerk zum Opfer fielen, dass wir im Moment von einer Sprachblase verschluckt wurden, aber mit den eigenen Augen sehen können, was er uns suggerierte.
Rogys Erkenntnisaufbrüche glichen ausnahmslos radikalen Abbruchunternehmen, die keine Brücke hinter sich stehen lassen. Er nannte Architekt*innen öffentlich »Arschitekten«, und Sozialdemokraten*innen »rote Ärsche«. In seiner Welt gab es keine Weltgeborgenheit, keinen Dank für niemanden. Monodirektional tat er seine Kunstsendung kund, folgte dem tradierten Leitbild der moralisierenden Belehrung. Tägliche Schuldzuweisungen, tägliche Schimpftiraden, pauschale Anfeindungen, Hassreden, Forderungen von Loyalitätsbeweisen – am besten durch Begleichen der offenen Wirtshausrechnungen.
Von einer behutsam forschenden Denkweise könnte bei Rogy keine Rede sein. Er verkörperte kein assoziationistisches Modell künstlerischer Formalisierung von Hypothesen, sondern bot vor allem ein biedermeierliches Heimspiel der unablässigen Selbstbestätigung, ausgetragen in der eigenen, fragilen Komfortzone.
Der selbsternannte »Politikberater« wusste nichts zum Kampf der slowenischen Volksgruppe um Mehrsprachigkeit zu sagen, nichts zur Atomkraft, nichts zum Parteienproporz im Land, auch zu Zeiten der schwarz-blauen Koalitionsbildung 1999/2000 im Grund genommen nichts, was die Mächtigen irritieren oder herausfordern hätte können. Dafür würdigte er umso verlässlicher Personen herab, die sich nicht in seine Nähe begeben wollten.
Seine kabarettistischen Wortspiele, seine Männlichkeitsekstasen, die Verächtlichmachung akademischer und demokratiepolitischer Problemstellungen hatten weniger mit dem dadaistischen Antikunst-Revolte oder mit dem literarischen Geist eines Karl Valentin zu tun als mit explosivem Alkoholikerhumor.
Auf Rogys Künstlerkarten herrschte stets ein aggressiver 1. April, er teilte lautstark nach allen Richtungen aus, verdrehte Wahrheiten oder rückte Unwahrheiten zurecht, reagierte aber mimosenhaft beleidigt, wenn jemand widersprach oder der österreichische mit seinen polizeilichen und gerichtlichen Mitteln antwortete.
Zum Glück war nicht alles, was von Rogy kam, Vulgärgerotze, Provokationslust und Hasspredigt (»Du ärgerer Hitler!«). Es liessen sich in dem überbordenden Toben des Allesverneiners und Allroundautodidakten immer auch sensible Suchbewegungen beobachten.
Es gab in der Produktion von Rogy ernsthafte handwerklichen Meisterstücke, die fast auf die reine Idee des Objekts zurückführen lassen. Jean Genet hat einmal gesagt: »Einen Stein in Form eines Steines meisseln ist gleichbedeutend mit Schweigen« (Fragmente). Mitten im Lärm seines trinkerischen Überlebenskampfes, mitten im masturbatorischen Gekritzel mit Rasierklingen, bildeten stille künstlerische Resulate dieser Art das Herzstück des Rogyischen Œevres.
Ich meine, dass in der Kunst Welten entstehen, die nur aus Bildern, Objekten und Ereignissen gemacht sind, ohne Ankerplätze noch Häfen, vollständig nomadisch, gewissermassen ein Aufblitzen auf der Flucht. Jedes starke Bild lebt dabei aus einer doppelten Wahrheit: etwas zu zeigen, auch etwas vorzutäuschen, und zugleich Kriterien und Prämissen dieser Erfahrung zu demonstrieren.
Mit etwas Glück entsteht auf diese Weise eine Welt schwebender Bilder. Jedes einzelne Werk der Sphäre neigt automatisch dazu, seinen Ursprung auszuschliessen, mit sich selbst zurecht zu kommen. Es sind zwei gegensätzliche Botschaften, die sich aus dieser Tatsache ableiten lassen, zwei mögliche Erkenntnisse, die uns der Denk- und Empfindungsweg der Kunst im Leben eröffnet. Entweder der Mensch soll sich selbst in ein Bild verwandeln, oder er soll zulassen, dass sein Bild frei dahinzieht. Dann lernt er an der Kunst, ohne Bild zu bleiben.
© Wolfgang Koch, 2019
[Anm.: Vollständige Buchpublikation des Vortrages für 2020 in Vorbereitung]

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