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Martin Fritz: HÄttest halt auch nichts Gescheites gelernt!
Redigiertes Manuskript einer Rede, gehalten am »STUNK – Parteitag der Kunst«, am 24. 05. 2019 in Klagenfurt.
Ich werde Sie jetzt möglicherweise mit einem Einstieg überraschen, der so gar nicht zu einer Veranstaltung passen mag, die unter dem Vorsitz des großen Victor Rogy stattfindet. Und ich werde vielleicht auch in einem zweiten Punkt überraschen, nämlich dadurch, dass ich nicht lustig sein werde. Auch nicht zu ernst, aber eben nicht lustig. Eher vielleicht ein kleines bisschen sentimental, doch dazu kommen wir erst. Jetzt einmal zur ersten Enttäuschung:
Ich konnte nämlich mit Victor Rogy nichts anfangen, ja vielleicht ist es sogar noch beschönigend: Denn nicht nur, dass ich nichts mit ihm anzufangen wusste, war mir einiges an seinen Auftritten, seinem Habitus und seiner Kunst fremd. Fremd und unverständlich und – ja sogar das – manchmal unangenehm. Neben seinen – zu Recht vielgerühmten – Qualitäten gab es etwas, das mich auf Distanz hielt.
Ich sollte dazu sagen, dass Sie sich zu diesen widersprüchlichen Gefühlen einen 17jährigen vorstellen müssen. Victor Rogy war 39 Jahre älter als ich. Stellen Sie sich also einen 17jährigen Gymnasiasten aus konservativem (und national vorgefärbtem) Haus vor, der bereits leicht kulturalisiert, aber dennoch stark dem Ordentlichen, dem Üblichen verhaftet war. In diesem Kosmos – zwischen Sportvereinen, Schulkränzchen, ersten Kulturerfahrungen als Statist am Stadttheater und engen Freundschaften zu Menschen, deren künstlerische Karrieren erst bevorstanden – in diesem Teenagekickskosmos waren wir auf Persönlichkeiten wie Victor Rogy schlichtweg noch nicht eingestellt.
Diese Mischung aus Konzeptkunst, Exzentrik, Nerverei und allumfassenden Äußerungen ohne jeden Unterschied zwischen Kunst und Leben war mir noch irgendwie zu viel. Und wie die meisten Jugendlichen waren wir damals natürlich auch auf Erfolg getrimmt. Man himmelte Sportler an, die Weltmeister wurden, man verehrte Popmusik, die im Radio lief. Erfolg ist eine wichtige Kategorie für Jugendliche und Viktor Rogys Biographie in seiner aktuellen Ausstellung verzeichnet keine einzige Ausstellung vor seinem 70 Geburtstag! Doch obwohl auch wir Erfolgssüchtigen bereits ahnten – sie müssen wissen, dass Einflüsse wie die Musicbox auf Ö3, vereinzelte engagierte Lehrende an der Schule etc. etc. begannen, ihre Wirkung zu zeigen – dass es anderes geben müsste, wäre der Sprung noch zu weit gewesen.
Ich hatte damals ohnehin bereits langsam die KAC-Sticker und das Franz-Klammer-Autogramm durch Kunstplakate ersetzt, doch man springt nicht direkt von Miró- und Schielepostern im Kinderzimmer zu Viktor Rogy. Man wird nicht umstandslos vom braven Sohn zum Herumhänger in Lokalen wie der Roten Lasche mit sprachspielenden Dadaisten und unverstandenen Künstlern. Es braucht Zwischenschritte und manchmal brauchen diese Zwischenschritte sehr lange.
Und gerade deswegen freut es mich, heute hier zu sein, denn damit erinnert diese Veranstaltung auch daran, welche Zwischenschritte notwendig waren, um zu einem Punkt zu gelangen, von dem sich ein verschlüsseltes, provokantes und doch auch hermetisches Werk und Leben, wie jenes von Victor Rogy, erschließt. Und ich blicke herum und erkenne, dass es ohnehin nicht nur um Viktor Rogy geht, sondern es geht darum, anzuerkennen, dass sich in Orten wie Klagenfurt und Villach auch bereits vor Jahrzehnten Menschen unter anderen Vorzeichen versammelt haben, bevor wir – die damals Jüngeren und heute Ergrauenden – sie wirklich verstanden.
Da gab es die großartige Galerie Hildebrand, in der wir mit einigem Schrecken zum ersten Mal Buñuels »Ein andalusischer Hund« ansehen konnten, und nicht verstanden, wie so etwas Verstörendes, wie der Schnitt durch das Auge, Kunst sein könnte. Da gab und gibt es ein Künstlerhaus mit einem Café, in dem es möglich war, von zugewandten Menschen, wie etwa Manfred Bockelmann, bereitwillig Antwort zu bekommen. Ich erinnere mich, von Manfred Bockelmann eine Telefonnummer bekommen zu haben, mit der man ihn sogar in München hätte anrufen können. Das war Ermutigung im besten Sinn! Da gab es Inge Freund, die auch streunenden Schülern in ihrer Galerie Kaffee anbot. Da gab und gibt es Franz Moro, ein toller Künstler und jemand, dessen Unterricht wir nicht in diesem Maße schätzen konnten, wie es ihm gebührt hätte, doch auf den man zurückkommen konnte, wenn es darum ging sich vorzustellen, was es denn bedeuten könnte, als Künstler zu leben. Und da gab und gibt es Lokale wie damals das Kamot, das Bei Uns, und natürlich den Uni-Club, ins Leben gerufen von jenen, die mich heute hierher eingeladen haben.
Und da gab und gibt es Menschen, die man nicht versteht. Menschen, die einen auch hin und wieder verstören mögen, da es ihnen irgendwie nicht gelingt, sympathisch oder geglättet zu erscheinen. Doch es sind alle diese Menschen gemeinsam – die Verstörenden, die Vermittelnden, die Lehrenden, die Produzierenden, die Danebenstehenden und auch die Nervenden. Es braucht alle für die Kunst. Und es braucht die, die weg gehen und es braucht die, die bleiben.
Bella Ban, Victor Rogy, das UNIKUM, Werner Überbacher und viele andere tolle Leute sind hier geblieben und haben dafür gesorgt, dass hier etwas lebendig geblieben ist, was Menschen wie mir und vielen anderen letztendlich überhaupt erst ermöglicht hat, zu gehen. Denn zum Weggehen braucht es eine Vorstellung einer anderen, einer komplizierteren Welt, jenseits jener »Permanent Vacation«, mit Sonne, See, Skifahren und Essen, mit der man versucht, das eigene Wohlbefinden immer weiter zu optimieren. Und es braucht Beispiele des Sinnlosen und des Absurden und es braucht Beispiele des nicht Verwertbaren und es braucht – ja auch das – die Beispiele des Scheiterns. Denn man weiß nie, was sich an diesen Beispielen wiederum an Inspiration und Energie entzünden kann.
Bevor ich schließe will ich mit einer Anekdote Einblick geben, zu welchen wundersamen Verschiebungen das Leben in einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort manchmal in der Lage ist. Und auch diese Anekdote hat mit dem Lernen zu tun. Manche von ihnen werden noch wissen, dass ich einmal für einen Film einen Bauernjüngling darstellen musste, und da ich als Klagenfurter Gymnasiast keine Ahnung vom Sensenmähen hatte, stellte sich die Frage, wo ich das denn lernen und auch üben könnte: Sie werden es nicht glauben, doch ich habe im Garten des Hauses von Maria Lassnig auf Vermittlung von Werner Überbacher von Victor Rogy das Sensenmähen gelernt. Wer also in einer Stadt lebte, in der diese Konstellation möglich war, für den gab es auch Auswege aus der Enge der späten 1970er Jahre, die sich jedoch in Klagenfurt trotzdem manchmal so großartig anfühlten wie die Sixties in San Francisco.
Heute leite ich eine Bildungsorganisation. Übrigens bin ich in einer in Bildungsorganisation in Klagenfurt aufgewachsen, weil mein Vater Direktor der bäuerlichen Volkshochschule Schloss Krastowitz war. Und wieder schiebt sich eine sonderbare Erinnerung vor die wohlgeordnete Vergangenheit: Es gab dort nämlich auch die sogenannte Laienspielwoche – initiiert von Alfred Meschnigg – und bei einer dieser Laienspielwochen waren wir als Kinder staunend Zeuge, wie sich ernsthafte Erwachsene bereits zu Beginn der 1970er Jahre an Texten von Peter Handke erprobten.
Zum Schluss: Wenn ihn andere Menschen um die glamourösen und auch manchmal finanziellen Vorteile seines Berufes beneideten, hat der aus Klagenfurt stammende Schauspieler Heinz Weixelbraun gerne erwidert: »Hättest halt auch nichts Gescheites gelernt.« Es ist immer noch eine Herausforderung täglich die Balance zwischen dem Ordentlichen, und dem »Nicht Gescheiten« zu halten – zwischen dem pragmatisch Notwendigen und dem Phantasievollen, zwischen fundierten Ausbildungsleistungen und jener Verstörung und Verunsicherung, die vielleicht nur von Leuten kommen kann wie Victor Rogy, den ich damals nicht verstand, und dem ich wahrscheinlich deswegen doch einiges verdanke!
© Martin Fritz, 2019

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