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Dietmar Pickl: Viktor Rogy trifft Ygor Rotkiv
Sie kennen sich einigermaßen gut. Seit langem. Von unten bis oben, von oben bis unten, von vorne bis hinten, von hinten bis vorne. Eventuell Doppelgänger. Nicht Kreutzberg, nicht Stroheim, nein Rotkiv wird von Rogy bewundert. Der Blick in den Spiegel gilt immerhin als Hinweis auf die Seitenverkehrtheit.
Kunst und Leben ist eins. Nur eben nicht ganz. Die eine, die Kunst, sagt Adolf Loos, muss niemandem gefallen, das andere, das Leben, das Haus hat allen zu gefallen. Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen. Der Loosbewunderer Rogy, ein Looser oder Looseraner demnach, ist der Ästethik der Überflüssigkeitsdekorentfernung verfallen. Sprachlich prägnant, wenn auch eher der südösterreichischen Sprechweise angelehnt, nennt er das »Enttschatscheln«.
Sind die Rote Lasche, das OM demnach ein Ort der Bequemlichkeit, nachdem der homerische Saustall ausgeräumt worden war? Rotkiv würde dem wohl zustimmen, Viktor wahrscheinlich nicht ganz – oder doch möglicherweise – nicht, Brecht bedenkend, wenn der sagt: »Ordnung ist heutzutage meistens dort, wo nichts ist. Es ist eine Mangelerscheinung?« Oder doch widersprechend, denn es gibt im OM immerhin und ohne Ausnahme und dazu noch rigide und konsequent kontrolliert, Sitz-und Stehordnungen, Beleg-Ablage-und Abstellordnungen, Bestands-und Liegenschaftordnungen. Von Mangel kann keine Rede sein.
In der Sprache wird Unsinn und Unmenschlichkeit sichtbar, sagen Nestroy und Karl Kraus, die Dadaisten, Paul Feyerabend wissen das auch, ebenso Viktor Rogy. Seine Sprüche knallen, »gestochen und gehauen« hätte sie Michael Guttenbrunner genannt. Gehauen vom Bildhauer Ygor mit dem Keil der Schrift. Seit Hammurabi kennen wir die in Keilschrift verfassten Gesetze: Aug um Aug, Zahn um Zahn, Reißzahn um Reißzahn, Reißnagel um Reißnagel. Der Reißnagel als Spezialform der Schiefen Ebene, in Dreiecksform dem Kreis entrissen und wie Messer, Nagel, Zahn und Hacke geformt – keilförmig eben. Die Hacke/ sekira: in der lyrischen Sprache von Jani Oswald klingt das so: »Ich hackte ins fremde Ich und zerstückelte es.« »Jaz sem usekal po sebi se razkosal.«
Und den Hackschnitzelmeister Ygor freut es. Er hackt und hackelt, krakélt, krakelt und kritzelt weiter in seiner unnachahmlichen Kakographie, nur Eingeweihten entzifferbar. Der Spalter wird zum Keiler, zum Hauer, der Bildhauer wird zum Rothauer, der Sprung-und Steppmeister zum Sprengmeister und lässt das Hochhaus vis à vis in die Luft gehen. Rogy und Rotkiv sind zufrieden.
Der Genius loci der Villacher-und Pernhartgasse verfügte über vielerlei, hatte einiges drauf. Nur eines ganz sicher nicht: Genierer. Ohne Scham und Charme, manchmal mit Schirm, manchmal mit Melone. Und immer rotzfrech trotz Rotzbremse, Rotzfänger.
Das Geniegetue von zeitgenössischen Künstlern und Nichtkünstlern ließ ihn hin und wieder zum Waschmittelpaket »Genie für Zwischendurch« greifen und als Waschmittelträger für Fotoaufnahmen posieren. Aber 1984 – Orwells Jahr (!) erschien nun endlich: rogy genie 84. Es war auch Zeit. Rotkiv war immerhin 60!
»Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt«... usw.usw., wie es bei Matthäus heißt. Lächerlich.
Wir wissen nicht erst seit Gert Jonke, dass es in der Welt keine Gerade gibt, weil die Erde nämlich eine Kugel ist. Die Erde ist gekrümmt, krumm und nicht gerade. Auf dieser Kugel sitzt in Kirchen häufig Christus Pantokrator, Allherrscher, Chef der Welt. Viktor Rogy kennt die Mechanismen der Selbsterhöhung, er kennt die Mittel und Wege auf den Sockel, das Piedestal, das Podest, auf die Herrscherkugel zu gelangen. Viktor Rogy, der Schlaue, dem Odysseus ähnlich, hat eine kleine Verwandte der Weltkugel, ein Kügelchen demnach, sich hinter die Oberlippe auf Höhe des Osterwitzbärtchens gesteckt. Das Kügelchen als Selbsterhöhungswerkzeug und Weltbeherrschungsfetisch.
Allerdings ist das Kügelchen weit mehr:  Rotkiv/Viktor/Sieger/zmagovalec/νικητής/ der Siegreiche hat die Welt im Mund, er ist zum Kosmophagen geworden, er hat die Welt zum Fressen gern.
© Dietmar Pickl, 2019

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