Der schiefe Turm von Črni Kal
 
Črni Kal | San Sergio | St. Serg
 

Nein, es ist keine optische Täuschung, der Kirchturm steht tatsächlich schief. Einen Meter ragt er über seine Grundfläche hinaus und kommt damit der Neigung des schiefen Turms von Pisa ziemlich nahe. Auch das lächerlich dünne Stahlseil, das ihn vor dem Umkippen bewahren soll, ist kein Trugbild – ob es seinen Zweck im Ernstfall zu erfüllen vermag, darf aber bezweifelt werden. Geologen erklären, dass der Untergrund am Übergang vom Kalkstein zum Flysch nachgegeben und damit den Turm aus dem Lot gebracht hat. Vielleicht waren es aber auch die Erschütterungen des Schwerverkehrs, der jahrzehntelang unterhalb des Dorfes vorbeidonnerte, die dem Fundament so zugesetzt haben. Heute fahren die LKW auf der 2004 fertiggestellten Autobahn, was Črni Kal zwar entlastet, an der Dauer-beschallung durch den Transit aber wenig geändert hat. Die neue Brücke überspannt das Osp-Tal und ist mit 1.060 m die längste Brücke Sloweniens. Geschwungen wie eine Staumauer, entbehrt sie nicht einer gewissen baumeisterlichen Eleganz – oder ist sie doch nur ein Monstrum aus (10.000 t) Stahl und (50.000 m3) Beton?

Die instabile Lage hat in Črni Kal schon mehrere Gebäude zum Einsturz gebracht. Dazu gehört die Burgruine oberhalb des Dorfes, der Rest einer Festung, die im 11. Jahrhundert zur Sicherung der Wegverbindung zwischen Küste und Binnenland errichtet wurde und immer wieder militärischen Angriffen ausgesetzt war. Die blieben auch für das Dorf nicht ohne Folgen. Obwohl der Ort im frühen Mittelalter gegründet wurde, bestimmen Häuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert das Ortsbild. Es sind zum Teil mehrstöckige Bauten mit kunstvoll gemeißelten Steinportalen und Ornamenten. Früheren Datums ist nur die Benkova hiša aus dem Jahr 1489, das die älteste bekannte Steinmetzarbeit Sloweniens besitzt. Ein weiteres Kulturdenkmal findet sich am Nachbarhaus in Form einer glagolitischen Inschrift. Die schönen Hieroglyphen wurden im 9. Jahrhundert zur Übersetzung griechischer Texte ins Altslavonische, die älteste bekannte slawische Sprache, ent-wickelt. »Grafikdesigner« war niemand geringerer als der Heilige Kyrill. Schon bald von der kyrillischen Schrift verdrängt, hielt sich die Glagolica nur in manchen Gegenden Kroatiens und Istriens bis ins 19. Jahrhundert. Auch als »Geheimschrift« leistete sie noch lange gute Dienste.
Auf die Zuhörigkeit Črni Kals zu Istrien (und damit zur Küste) verweisen auch drei steinerne Schiffsbuge an der Straße am Fuße des Dorfes. Das Denkmal erinnert an die Gründung der Überseebrigaden der jugoslawischen Partisanen, die auf der Seite der Alliierten gegen die Nationalsozialisten kämpften. Sie rekrutierten sich u. a. aus ehemaligen politischen Gefangenen, die aus den Internierungslagern der italienischen Faschisten befreit worden waren.

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