Anmerkungen
zur Ersten Kärntner Kurzschluss-Handlung, ALLES
ist käuflich. Am Anfang war der Supermarkt.
Gott füllte die Regale, legte die Preise fest und vertraute Adam und Eva
eine Kreditkarte an. Die aber ließen sich beim Ladendiebstahl erwischen
– mit unerquicklichen Folgen: Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du
DeinenEinkaufswagen schieben. Mittlerweile wird dieWarteschlange
immer länger und schleicht sich mancher Mißton in die Kaufhausmusik.
Sozialabbau gehört zum täglichen Programm und wird als notwendige
Begleiterscheinung des Strukturwandels verkauft. In solchen Zeiten kommen Sündenböcke
immer gelegen. Ob Ausländer, Homosexuelle oder Drogenabhängige – Hauptsache
fremd-, andersartig und jedenfalls schuldig. Manchmal, zur Abwechslung, geht
es gegen zeitgenössische Künstler. Erregung ist garantiert. Kulturkampf
verspricht Unterhaltung und sichert die Arbeitsplätze von Kulturberatern
und Kolumnisten. Vielen erscheint die Klimaverschlechterung
als etwas Unvermeidliches, jedenfalls Unaufhaltsames. Gegenwehr erscheint unzeitgemäß
oder steht im Ruch der Vergeblichkeit. Unterschriftenlisten, Protestinserate
undMahnwachen ernten (von Megaevents abgesehen) das große Gähnen.
Resignation und Zynismus gehen mit der Tendenz einher, oppositionelle Äußerungen
grundsätzlich als unvernünftig oder alsZeichen von Unbelehrbarkeit
zu denunzieren. Das provoziert Kurzschlußhandlungen.
BEDÜRFNIS.
Jedes
menschliche Bedürfnis hat im Katalog der Warenwelt seine konsumierbares
Äquivalent. Nur am freienMarkt ist Befriedigung garantiert. Also verweist,
umgekehrt, jedes feilgebotene Konsumgut auf ein vorhandenes Bedürfnis.
Die Warenpalette der 1. Kärntner Kurzschluß-Handlung zielt auf die
Bedürfnisse jener, die genau das bezweifeln. Ihre Unzufriedenheit und Verweigerungshaltung
ist gewissermaßen die Marktlücke, in die die Kurzschluß-Handlung
stößt. In der Regel beschäftigen sich ganze Wirtschaftszweige
mit abtrünnigen Konsumenten. Viele Konzerne leben davon, Innovationen der
Protestkultur auf schnellstem Wege marktgerecht zu adaptieren und sie so ihrer
subversiven Kraft zu berauben. DieKurzschluß-Handlung ist der Versuch,
diesenProzeß der Vereinnahmung und Affirmation durch Vorwegnahme zu unterlaufen
oder zu ironisieren. GEBRAUCHSGÜTER.
Die
1. Kärntner Kurzschluß-Handlung ist ein Fachgeschäft für
Gebrauchsgüter, Gerätschaften und Dienstleistungen für alle Eventualitäten
im täglichenSozial- und Kulturkampf. Urheber und Lieferanten der – eigens
für die Aktion entworfenen – Produkte sind Künstlerinnen und Künstler
verschiedener Sparten. Mit ihrer Hilfe sollen unkonventionelle Ausdrucksmittel
des Nicht-Einverstanden-Seins, des Protests, vielleicht auch der Ohnmacht und
Wut, entwickelt und erprobt werden. Und zwar ungeachtet taktisch-strategischer
Überlegungen und politischer Kräfteverhältnisse. FEINDBILDER.
Schwer
hat es, wer gelernt hat, seine Mitmenschen differenziert zu betrachten, also
etwa nach psychologischen Erklärungen für ihre Irrtümer zu suchen
oder Dummheiten mit sozialen Defiziten zu entschuldigen. Während andere
sich nicht im Traum diese Mühe machen und klare Vorstellungen vom »Frontverlauf«
in der Gesellschaft haben – hie die Tüchtigen, dort Ausländer, Kriminelle,
Sozialschmarotzer – kommen den Nachdenklichen die Feindbilder abhanden. Das
mag ein zivilisatorischer Fortschritt sein, macht aber auch wehrlos. Zur Kompensation
bietet die Kurzschluß-Handlung eine Reihe von Produkten zur zeitweiligen
Vereinfachung des Welt- und Menschenbildes an. GESCHÄFT.
Die
Kurzschluß-Handlung ist ein schlechtes Geschäft. Zumindest aus der
Sicht der beteiligtenKünstler, welche für die von ihnen entworfenen
Produkte keine Honorare erhalten, sondern lediglich am Verkaufserlös beteiligt
sind. Mißgünstig betrachtet ist die Kurzschluß-Handlung zudem
ein krummes Geschäft, kommt doch für Produktions- und Entwicklungskosten
teilweise der Steuerzahler (per Kulturförderung) auf, was eine Preisgestaltung
erlaubt, die jeder privatwirtschaftlichen Logik spottet. Sie ist also ein gutes
Geschäft – für ihre Kunden. Kurzschlüsse soll sich
jeder leisten können. Das kannnur durch Umverteilung erreicht werden. GEWINNE.
sind
trotzdem einkalkuliert. Etwa der Gewinn von Erkenntnissen über das Verhalten
verständnisloser Behörden und sogenannter Mitbewerber. Auch Lustgewinne
sind möglich. Zum Beispiel bei der Entdeckung von Möglichkeiten, im
gesellschaftlichenGetriebe da und dort Reibungsverluste zu bewirken, ohne sich
dabei selber aufzureiben. Oder bei der Entdeckung unverhoffter Seelenverwandschaften.
Kunstgewinne dürfen in jedem Fall erwartet werden. HAFTUNG.
Die
Rückgabe oder der Umtausch von Waren der Kurzschluß-Handlung ist
nicht vorgesehen. Jede Produkthaftung wird abgelehnt; reklamieren ist zwecklos.
Im Zweifelssfall sind die in der Kurzschluß-Handlung angebotenen Artikel
reine Kunstobjekte, die sich einer Beurteilung nach den üblichen Kriterien
des Konsumentenschutzes entziehen. Was scheinbar eßbar und benützbar
ist oder in Betrieb genommen werden kann, ist gewissermaßen als Abbild
seiner selbst zu betrachten. Es dient also lediglich der Anschauung und der
Stimulation von Phantasie. Ein etwaigerMißbrauch durch denKonsumenten
liegt in dessen Verantwortung. INTERVENTION.
Gesetzt
den Fall, der Mensch ist das Subjekt der Geschichte, – wie stellt er es an,
in denLauf der Dinge einzugreifen? Mancher Künstler versucht es mit Irritation.
Mittels listiger Manipulation am Gegebenen, durch unauffällige Eingriffe
in den Alltag, soll der Blick auf das Gewöhnliche gelenkt und sollen zugleich
Zweifel an dessen scheinbarer Unabänderlichkeit geweckt werden. Damit wird,
so die vage Hoffnung, der Betrachter vomKeim der Subversion angesteckt. Die
Kurzschluß-Handlung ist eine als Selbstbedienungsladen getarnte Intervention
im öffentlichen Raum des Klagenfurter Geschäftszentrums. JAGDGESELLSCHAFT.
Mit
diesem Begriff werden neuerdings gerne jene bedacht, die im öffentlichen
Diskurs Mindeststandards politischer Moral einfordern. Synonyme sind »linkslinke
Schickeria« oder »Gutmenschen«. Zu ihren »Opfern« zählen sich auflagenstarke
Zeitungen und lautstarke Volksvertreter. In Wahrheit stellt der Begriff
die Verhältnisse auf den Kopf. Denn es sind die als Jäger Denunzierten,
die in regelmäßigen Abständen insVisier rabiater Medien oder
Politiker geraten. Der einschüchternde und somit abschreckende Effekt solcher
Kampagnen sollte nicht unterschätzt werden. Einige Produkte der Kurzschluß-Handlung
nehmen auf solche Feldzüge in jüngerer Vergangenheit Bezug. Sie können
als kleine Retourkutschen des Tugendterrors bezeichnet werden. KÄRNTEN.
Für
viele ist »Kärnten« immer noch eine Art Kampfbegriff, einKesslerhut, den
zu grüßen sich wohl nur Verräter weigern. »Kärnten«, das
steht für Deutschtum, Opferbereitschaft, Zusammenhalt und Treue. Zu bestimmten
Zeiten und an bestimmtenOrten gebietet es die eigene Sicherheit, der Heimat
die Ehre zu erweisen. Die Kurzschluß-Handlung hat dafür eine breite
Palette praktischer Hilfsmittel anzubieten. Und wem das Land immer unheimlicher
wird, dem wird das Sortiment erst recht entgegenkommen. KUNST,
bildende, im
herkömmlichen Sinn, ist in der Kurzschluß-Handlung nicht zu haben.
Der Verkauf vonGemälden, Skulpturen, Grafiken etc. bleibe professionellen
Galerien vorbehalten. Kunstwerke im obgenanntenSinn tauchen in der Kurzschluß-Handlung
lediglich als Objekte oder Utensilien von Aktionen auf, die sich kritisch mit
dem Kunstbetrieb oder dem öffentlichen Umgang mit Kunst(werken) auseinandersetzen.
Der Kunde erwirbt Kunstwerke als »Materialien«, die erst durch sein eigenes
Zutun denStellenwert von Kunst (wieder)erlangen. LAUFKUNDSCHAFT.
Sie
ist die wichtigste Zielgruppe der Kurzschluß-Handlung. Neugierige, die
auf die Lockangebote im Schaufenster ansprechen, sind willkommen. Auch solche,
die ihren Unmut oder ihre Feindseligkeit preisgeben. Denn die Kurzschluß-Handlung
versteht sich (auch) als Ort der Auseinandersetzung über das Wesen der
Kunst und über ihre Freiheit. Gesucht wird nach Antworten, ob und wie sich
Kunst im nicht-elitären öffentlichen Raum verwirklichen läßt
und welche Möglichkeiten sie als Mittel politischer Einmischung haben könnte. MAHNMALE.
Die
Manifestation von Erinnerung – etwa in Gestalt von Heldendenkmälern – vermögen
Militaristen und Nationalisten bis zur Obsession zu betreiben. Mahnmale zum
Gedächtnis an politische oder menschliche Niederlagen sind dagegen rar.
Die Kurzschluß-Handlung vermag diese Marktlücke nicht zu schließen,
das eine oder andere Beispiel für anlaßorientierte Mahnmalkultur
undTrauerarbeit findet sich dennoch im Repertoire. MITGLIEDER.
des
UNIKUM erhalten auf jedes Produkt der Kurzschlußhandlung 10 Prozent Rabatt.
Der Beitritt zum Verein wird als Sympathiesantentum gewertet. ÖFFNUNGSZEIT.
Die
Kurzschluß-Handlung ist offen für Kritik und Kundenwünsche,
aber auch für Vorschläge zur Erweiterung der Produktpalette. Und sie
bietet die Möglichkeit der Einkehr. Der Kunde ist eingeladen, sich mit
dem Verkaufspersonal und zeitweilig anwesenden KünstlerInnen kurzzuschließen.
Kurzschluß wird hier
auch als Akt der Vernetzung verstanden. Die Kurzschluß-Handlung ist potentieller
Umschlagplatz für Nachrichten, Tauschmarkt für Erfahrungen und Ideenbörse.
Daß diesbezüglich die Erwartungen nicht hochgeschraubt zu werden
brauchen, lehrt dieErfahrung. Vielleicht erleichtert jedoch der spielerische
Charakter des Unternehmens (imGegensatz zu ergebnisorientierten und verbindlichen
Kooperationsformen) die Bildung zumindest kurzfristiger Aktionseinheiten. POLITIK.
Kunst
ist politisch, sie muß politischer werden, – dem Satz wird heute kaum
noch jemand widersprechen. Wehe aber, wenn das Tabu der Parteipolitik übertreten
wird – von solcher Parteinahme haben sich Künstler fernzuhalten. Sogenannte
Äquidistanz zu den Parteien zu bewahren, ist allerdings nur solange möglich,
als diese ihrerseits die Kunst nicht behelligen. Diese Grenze wurde in den letzten
Jahren oft genug überschritten. Somit ist auch die Regel, daß man
die Hand, die einen füttert, nicht beißen möge, außer
Kraft gesetzt. Künstler sind weder Haustiere, noch haben Kulturpolitiker
Futtermittel zu verteilen. Deren Aufgabe wäre es, Kulturförderungsgesetze
zu vollziehen. PROVOKATION.
Manche
werden das eine oder andere Produkt der Kurzschluß-Handlung als Zumutung
empfinden. Vielleicht sogar als Beleidigung ihrer nationalen und patriotischen
Gefühle. Diesen Leuten wird die Beteuerung, daß auch die Kurzschluß-Handlung
ein Projekt des Patriotismus ist, unglaubwürdig erscheinen. Denn die Hüter
der wahren Heimatliebe wissen ganz genau, auf welche Weise ihrem Land zu huldigen
ist. Wer sich nicht an ihre Regeln hält, handelt sich rasch den Vorwurf
der Nestbeschmutzung ein. Solchen Kunden kann geholfen
werden: indem sie die betreffendenWaren durch Hamsterkäufe aus dem Verkehr
ziehen. REISEN.
Kurzschluß-Handlungsreisende
quälen Fernweh und Fluchtgedanken gleichermaßen. Alles liegen und
stehen lassen, dem Land mit der bundesweit größten demokratiepolitischen
Risikogruppe endlich den Rücken kehren, wenigstens für den Augenblick
des Affektes – wer hätte sich das nicht schon sehnlichst gewünscht.
Dem unstillbaren Bedürfnis nach Flucht entspricht eine Reihe des Warenangebotes.
Besonders praktisch sind die Produkte, mittels derer man sich im Handumdrehen
ins eigene Ausland versetzen kann. STELLVERTRETER.
Läuft
jemand Amok, geschieht dies oft »stellvertretend« für andere, die in ähnlicher
psychischer Not leben. Jede Kurzschlußhandlung wirft ein Licht auf das
soziale Umfeld des Täters. Einige Mitwirkende an der
1. KärntnerKurzschluß-Handlung können als kreative Verzweiflungstäter
bezeichnet werden. Mit ihremBeispiel entlasten sie Menschen mit geringerem Handlungsspielraum
und erweisen dem Land einen wertvollen Dienst als Indikatoren für dessen
Befindlichkeit. Der Verkauf der von ihnen entworfenen Produkte (die ja eigentlichenHandlungsvorschläge
sind) ist somit eine Art Ablaßhandel. TRAGWEITE.
Es
gehört zum Wesen einer Kurzschlußhandlung, daß imMoment der
Ausführung ihre Tragweite nicht bedacht wird. Damit ist sie demSpiel, der
Improvisation verwandt. Spontaneität und Unbedachtheit waren häufige
Ratgeber bei der Entwicklung der Produkte für die 1. Kärntner Kurzschluß-Handlung.
Den Sachzwang außer Kraft zu setzen und die Vernunft vorübergehend
zu karenzieren, das sollte – in Anbetracht der bestehenden Machtverhältnisse
– von Zeit zu Zeit erlaubt sein. Dazu bedarf es gesellschaftlicher Freiräume,
die es zu verteidigen gilt. UNGEREIMTHEITEN
im
Konzept und bei der Realisierung der Kurzschluß-Handlung ergeben sich
aus dem hohen Anspruch einerseits und dem nicht geringen Ausmaß von Ratlosigkeit
andererseits. Wenn hier etwa von »kreativenFormen des Widerstands«, von »Strategien
gegenVereinnahmung« und Ähnlichem die Rede ist, ahnt man vielleicht die
Verwirrung. Daß sich hinter solchen Phrasen auch Kleinlautes verbirgt,
sollte dem kritischenKonsumenten nicht verborgen bleiben. VERPACKUNG.
Was
für ein Tafelbild der Rahmen und für Skulpturen ein Sockel ist, könnte
für eine Ware die Verpackung sein. In der Kurzschluß-Handlung hat
die Verpackung gegenteilige Funktion. Nicht die »Erhöhung« des Produktes
wird angestrebt, sondern seine Profanisierung. DurchUniformierung soll ihr Gebrauchswert
unterstrichen werden. Die Verpackung ist Teil des Produktes. ZWEIFEL
werden
in der Kurzschluß-Handlung, nebst Wind und Zwietracht, als Saatgut angeboten.
In diesem Fall wird eine Ausnahme gemacht und kann die volle Produktgarantie
übernommen werden: Die Saat geht immer auf! Gerhard Pilgram
von GERHARD PILGRAM