Anmerkungen zur Ersten Kärntner Kurzschluss-Handlung,
von GERHARD PILGRAM

ALLES ist käuflich.

Am Anfang war der Supermarkt. Gott füllte die Regale, legte die Preise fest und vertraute Adam und Eva eine Kreditkarte an. Die aber ließen sich beim Ladendiebstahl erwischen – mit unerquicklichen Folgen: Im Schweiße Deines Angesichtes sollst Du DeinenEinkaufswagen schieben.

Mittlerweile wird dieWarteschlange immer länger und schleicht sich mancher Mißton in die Kaufhausmusik. Sozialabbau gehört zum täglichen Programm und wird als notwendige Begleiterscheinung des Strukturwandels verkauft. In solchen Zeiten kommen Sündenböcke immer gelegen. Ob Ausländer, Homosexuelle oder Drogenabhängige – Hauptsache fremd-, andersartig und jedenfalls schuldig. Manchmal, zur Abwechslung, geht es gegen zeitgenössische Künstler. Erregung ist garantiert. Kulturkampf verspricht Unterhaltung und sichert die Arbeitsplätze von Kulturberatern und Kolumnisten.

Vielen erscheint die Klimaverschlechterung als etwas Unvermeidliches, jedenfalls Unaufhaltsames. Gegenwehr erscheint unzeitgemäß oder steht im Ruch der Vergeblichkeit. Unterschriftenlisten, Protestinserate undMahnwachen ernten (von Megaevents abgesehen) das große Gähnen. Resignation und Zynismus gehen mit der Tendenz einher, oppositionelle Äußerungen grundsätzlich als unvernünftig oder alsZeichen von Unbelehrbarkeit zu denunzieren.

Das provoziert Kurzschlußhandlungen.

 

BEDÜRFNIS. Jedes menschliche Bedürfnis hat im Katalog der Warenwelt seine konsumierbares Äquivalent. Nur am freienMarkt ist Befriedigung garantiert. Also verweist, umgekehrt, jedes feilgebotene Konsumgut auf ein vorhandenes Bedürfnis. Die Warenpalette der 1. Kärntner Kurzschluß-Handlung zielt auf die Bedürfnisse jener, die genau das bezweifeln. Ihre Unzufriedenheit und Verweigerungshaltung ist gewissermaßen die Marktlücke, in die die Kurzschluß-Handlung stößt. In der Regel beschäftigen sich ganze Wirtschaftszweige mit abtrünnigen Konsumenten. Viele Konzerne leben davon, Innovationen der Protestkultur auf schnellstem Wege marktgerecht zu adaptieren und sie so ihrer subversiven Kraft zu berauben. DieKurzschluß-Handlung ist der Versuch, diesenProzeß der Vereinnahmung und Affirmation durch Vorwegnahme zu unterlaufen oder zu ironisieren.

 

GEBRAUCHSGÜTER. Die 1. Kärntner Kurzschluß-Handlung ist ein Fachgeschäft für Gebrauchsgüter, Gerätschaften und Dienstleistungen für alle Eventualitäten im täglichenSozial- und Kulturkampf. Urheber und Lieferanten der – eigens für die Aktion entworfenen – Produkte sind Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten. Mit ihrer Hilfe sollen unkonventionelle Ausdrucksmittel des Nicht-Einverstanden-Seins, des Protests, vielleicht auch der Ohnmacht und Wut, entwickelt und erprobt werden. Und zwar ungeachtet taktisch-strategischer Überlegungen und politischer Kräfteverhältnisse.

 

FEINDBILDER. Schwer hat es, wer gelernt hat, seine Mitmenschen differenziert zu betrachten, also etwa nach psychologischen Erklärungen für ihre Irrtümer zu suchen oder Dummheiten mit sozialen Defiziten zu entschuldigen. Während andere sich nicht im Traum diese Mühe machen und klare Vorstellungen vom »Frontverlauf« in der Gesellschaft haben – hie die Tüchtigen, dort Ausländer, Kriminelle, Sozialschmarotzer – kommen den Nachdenklichen die Feindbilder abhanden. Das mag ein zivilisatorischer Fortschritt sein, macht aber auch wehrlos. Zur Kompensation bietet die Kurzschluß-Handlung eine Reihe von Produkten zur zeitweiligen Vereinfachung des Welt- und Menschenbildes an.

 

GESCHÄFT. Die Kurzschluß-Handlung ist ein schlechtes Geschäft. Zumindest aus der Sicht der beteiligtenKünstler, welche für die von ihnen entworfenen Produkte keine Honorare erhalten, sondern lediglich am Verkaufserlös beteiligt sind. Mißgünstig betrachtet ist die Kurzschluß-Handlung zudem ein krummes Geschäft, kommt doch für Produktions- und Entwicklungskosten teilweise der Steuerzahler (per Kulturförderung) auf, was eine Preisgestaltung erlaubt, die jeder privatwirtschaftlichen Logik spottet. Sie ist also ein gutes Geschäft – für ihre Kunden.

Kurzschlüsse soll sich jeder leisten können. Das kannnur durch Umverteilung erreicht werden.

GEWINNE. sind trotzdem einkalkuliert. Etwa der Gewinn von Erkenntnissen über das Verhalten verständnisloser Behörden und sogenannter Mitbewerber. Auch Lustgewinne sind möglich. Zum Beispiel bei der Entdeckung von Möglichkeiten, im gesellschaftlichenGetriebe da und dort Reibungsverluste zu bewirken, ohne sich dabei selber aufzureiben. Oder bei der Entdeckung unverhoffter Seelenverwandschaften. Kunstgewinne dürfen in jedem Fall erwartet werden.

 

HAFTUNG. Die Rückgabe oder der Umtausch von Waren der Kurzschluß-Handlung ist nicht vorgesehen. Jede Produkthaftung wird abgelehnt; reklamieren ist zwecklos. Im Zweifelssfall sind die in der Kurzschluß-Handlung angebotenen Artikel reine Kunstobjekte, die sich einer Beurteilung nach den üblichen Kriterien des Konsumentenschutzes entziehen. Was scheinbar eßbar und benützbar ist oder in Betrieb genommen werden kann, ist gewissermaßen als Abbild seiner selbst zu betrachten. Es dient also lediglich der Anschauung und der Stimulation von Phantasie. Ein etwaigerMißbrauch durch denKonsumenten liegt in dessen Verantwortung.

 

INTERVENTION. Gesetzt den Fall, der Mensch ist das Subjekt der Geschichte, – wie stellt er es an, in denLauf der Dinge einzugreifen? Mancher Künstler versucht es mit Irritation. Mittels listiger Manipulation am Gegebenen, durch unauffällige Eingriffe in den Alltag, soll der Blick auf das Gewöhnliche gelenkt und sollen zugleich Zweifel an dessen scheinbarer Unabänderlichkeit geweckt werden. Damit wird, so die vage Hoffnung, der Betrachter vomKeim der Subversion angesteckt. Die Kurzschluß-Handlung ist eine als Selbstbedienungsladen getarnte Intervention im öffentlichen Raum des Klagenfurter Geschäftszentrums.

 

JAGDGESELLSCHAFT. Mit diesem Begriff werden neuerdings gerne jene bedacht, die im öffentlichen Diskurs Mindeststandards politischer Moral einfordern. Synonyme sind »linkslinke Schickeria« oder »Gutmenschen«. Zu ihren »Opfern« zählen sich auflagenstarke Zeitungen und lautstarke Volksvertreter.

In Wahrheit stellt der Begriff die Verhältnisse auf den Kopf. Denn es sind die als Jäger Denunzierten, die in regelmäßigen Abständen insVisier rabiater Medien oder Politiker geraten. Der einschüchternde und somit abschreckende Effekt solcher Kampagnen sollte nicht unterschätzt werden. Einige Produkte der Kurzschluß-Handlung nehmen auf solche Feldzüge in jüngerer Vergangenheit Bezug. Sie können als kleine Retourkutschen des Tugendterrors bezeichnet werden.

 

KÄRNTEN. Für viele ist »Kärnten« immer noch eine Art Kampfbegriff, einKesslerhut, den zu grüßen sich wohl nur Verräter weigern. »Kärnten«, das steht für Deutschtum, Opferbereitschaft, Zusammenhalt und Treue. Zu bestimmten Zeiten und an bestimmtenOrten gebietet es die eigene Sicherheit, der Heimat die Ehre zu erweisen. Die Kurzschluß-Handlung hat dafür eine breite Palette praktischer Hilfsmittel anzubieten. Und wem das Land immer unheimlicher wird, dem wird das Sortiment erst recht entgegenkommen.

 

KUNST, bildende, im herkömmlichen Sinn, ist in der Kurzschluß-Handlung nicht zu haben. Der Verkauf vonGemälden, Skulpturen, Grafiken etc. bleibe professionellen Galerien vorbehalten. Kunstwerke im obgenanntenSinn tauchen in der Kurzschluß-Handlung lediglich als Objekte oder Utensilien von Aktionen auf, die sich kritisch mit dem Kunstbetrieb oder dem öffentlichen Umgang mit Kunst(werken) auseinandersetzen. Der Kunde erwirbt Kunstwerke als »Materialien«, die erst durch sein eigenes Zutun denStellenwert von Kunst (wieder)erlangen.

 

LAUFKUNDSCHAFT. Sie ist die wichtigste Zielgruppe der Kurzschluß-Handlung. Neugierige, die auf die Lockangebote im Schaufenster ansprechen, sind willkommen. Auch solche, die ihren Unmut oder ihre Feindseligkeit preisgeben. Denn die Kurzschluß-Handlung versteht sich (auch) als Ort der Auseinandersetzung über das Wesen der Kunst und über ihre Freiheit. Gesucht wird nach Antworten, ob und wie sich Kunst im nicht-elitären öffentlichen Raum verwirklichen läßt und welche Möglichkeiten sie als Mittel politischer Einmischung haben könnte.

 

MAHNMALE. Die Manifestation von Erinnerung – etwa in Gestalt von Heldendenkmälern – vermögen Militaristen und Nationalisten bis zur Obsession zu betreiben. Mahnmale zum Gedächtnis an politische oder menschliche Niederlagen sind dagegen rar. Die Kurzschluß-Handlung vermag diese Marktlücke nicht zu schließen, das eine oder andere Beispiel für anlaßorientierte Mahnmalkultur undTrauerarbeit findet sich dennoch im Repertoire.

 

MITGLIEDER. des UNIKUM erhalten auf jedes Produkt der Kurzschlußhandlung 10 Prozent Rabatt. Der Beitritt zum Verein wird als Sympathiesantentum gewertet.

 

ÖFFNUNGSZEIT. Die Kurzschluß-Handlung ist offen für Kritik und Kundenwünsche, aber auch für Vorschläge zur Erweiterung der Produktpalette. Und sie bietet die Möglichkeit der Einkehr. Der Kunde ist eingeladen, sich mit dem Verkaufspersonal und zeitweilig anwesenden KünstlerInnen kurzzuschließen.

Kurzschluß wird hier auch als Akt der Vernetzung verstanden. Die Kurzschluß-Handlung ist potentieller Umschlagplatz für Nachrichten, Tauschmarkt für Erfahrungen und Ideenbörse. Daß diesbezüglich die Erwartungen nicht hochgeschraubt zu werden brauchen, lehrt dieErfahrung. Vielleicht erleichtert jedoch der spielerische Charakter des Unternehmens (imGegensatz zu ergebnisorientierten und verbindlichen Kooperationsformen) die Bildung zumindest kurzfristiger Aktionseinheiten.

 

POLITIK. Kunst ist politisch, sie muß politischer werden, – dem Satz wird heute kaum noch jemand widersprechen. Wehe aber, wenn das Tabu der Parteipolitik übertreten wird – von solcher Parteinahme haben sich Künstler fernzuhalten. Sogenannte Äquidistanz zu den Parteien zu bewahren, ist allerdings nur solange möglich, als diese ihrerseits die Kunst nicht behelligen. Diese Grenze wurde in den letzten Jahren oft genug überschritten. Somit ist auch die Regel, daß man die Hand, die einen füttert, nicht beißen möge, außer Kraft gesetzt. Künstler sind weder Haustiere, noch haben Kulturpolitiker Futtermittel zu verteilen. Deren Aufgabe wäre es, Kulturförderungsgesetze zu vollziehen.

 

PROVOKATION. Manche werden das eine oder andere Produkt der Kurzschluß-Handlung als Zumutung empfinden. Vielleicht sogar als Beleidigung ihrer nationalen und patriotischen Gefühle. Diesen Leuten wird die Beteuerung, daß auch die Kurzschluß-Handlung ein Projekt des Patriotismus ist, unglaubwürdig erscheinen. Denn die Hüter der wahren Heimatliebe wissen ganz genau, auf welche Weise ihrem Land zu huldigen ist. Wer sich nicht an ihre Regeln hält, handelt sich rasch den Vorwurf der Nestbeschmutzung ein.

Solchen Kunden kann geholfen werden: indem sie die betreffendenWaren durch Hamsterkäufe aus dem Verkehr ziehen.

 

REISEN. Kurzschluß-Handlungsreisende quälen Fernweh und Fluchtgedanken gleichermaßen. Alles liegen und stehen lassen, dem Land mit der bundesweit größten demokratiepolitischen Risikogruppe endlich den Rücken kehren, wenigstens für den Augenblick des Affektes – wer hätte sich das nicht schon sehnlichst gewünscht. Dem unstillbaren Bedürfnis nach Flucht entspricht eine Reihe des Warenangebotes. Besonders praktisch sind die Produkte, mittels derer man sich im Handumdrehen ins eigene Ausland versetzen kann.

 

STELLVERTRETER. Läuft jemand Amok, geschieht dies oft »stellvertretend« für andere, die in ähnlicher psychischer Not leben. Jede Kurzschlußhandlung wirft ein Licht auf das soziale Umfeld des Täters.

Einige Mitwirkende an der 1. KärntnerKurzschluß-Handlung können als kreative Verzweiflungstäter bezeichnet werden. Mit ihremBeispiel entlasten sie Menschen mit geringerem Handlungsspielraum und erweisen dem Land einen wertvollen Dienst als Indikatoren für dessen Befindlichkeit. Der Verkauf der von ihnen entworfenen Produkte (die ja eigentlichenHandlungsvorschläge sind) ist somit eine Art Ablaßhandel.

 

TRAGWEITE. Es gehört zum Wesen einer Kurzschlußhandlung, daß imMoment der Ausführung ihre Tragweite nicht bedacht wird. Damit ist sie demSpiel, der Improvisation verwandt. Spontaneität und Unbedachtheit waren häufige Ratgeber bei der Entwicklung der Produkte für die 1. Kärntner Kurzschluß-Handlung. Den Sachzwang außer Kraft zu setzen und die Vernunft vorübergehend zu karenzieren, das sollte – in Anbetracht der bestehenden Machtverhältnisse – von Zeit zu Zeit erlaubt sein. Dazu bedarf es gesellschaftlicher Freiräume, die es zu verteidigen gilt.

 

UNGEREIMTHEITEN im Konzept und bei der Realisierung der Kurzschluß-Handlung ergeben sich aus dem hohen Anspruch einerseits und dem nicht geringen Ausmaß von Ratlosigkeit andererseits. Wenn hier etwa von »kreativenFormen des Widerstands«, von »Strategien gegenVereinnahmung« und Ähnlichem die Rede ist, ahnt man vielleicht die Verwirrung. Daß sich hinter solchen Phrasen auch Kleinlautes verbirgt, sollte dem kritischenKonsumenten nicht verborgen bleiben.

 

VERPACKUNG. Was für ein Tafelbild der Rahmen und für Skulpturen ein Sockel ist, könnte für eine Ware die Verpackung sein. In der Kurzschluß-Handlung hat die Verpackung gegenteilige Funktion. Nicht die »Erhöhung« des Produktes wird angestrebt, sondern seine Profanisierung. DurchUniformierung soll ihr Gebrauchswert unterstrichen werden. Die Verpackung ist Teil des Produktes.

 

ZWEIFEL werden in der Kurzschluß-Handlung, nebst Wind und Zwietracht, als Saatgut angeboten. In diesem Fall wird eine Ausnahme gemacht und kann die volle Produktgarantie übernommen werden: Die Saat geht immer auf!

Gerhard Pilgram