RADOVLJICA
Am gewinnendsten ist das Städtchen in der warmen Jahreszeit, wenn am
verkehrsberuhigten Hauptplatz die Kaffeehaus-Tische aufgestellt sind und
sich die Bewohner im »italienischen« Ritual der Abendpromenade
üben. Zur mediterranen Atmosphäre trägt auch das historische
Stadtbild bei, das man in diesen Breiten kaum erwarten würde
weniger wegen seiner Architektur (die eher »österreichisch«
wirkt) als wegen seiner Kompaktheit und der exponierten Lage auf einer Terrasse
75 m über dem Savetal. Sie macht Radovljica zu einer der schönsten
Städte in Gorenjska. Dass sie trotz ihrer Nähe zu Bled und zur
Autobahn verhältnismäßig wenig touristische Beachtung findet,
erstaunt umso mehr.
»Altstadt«, das sind im Wesentlichen besagter Hauptplatz, Linhartov
trg, der Kirchhof und ein paar schmale Seitengassen. Auch die vergammelte
»Unterstadt« im Nordosten ist historisch. Den Rest bilden Neubauten,
die im Nordwesten mit Lesce zum hässlichen Siedlungsbrei verschmelzen.
Den gut erhaltenen, teilweise mittelalterlichen Baubestand verdankt Radovljica,
deutsch Radmannsdorf, seinem wirtschaftlichen Niedergang im 18. Jahrhundert,
der jede weitere Modernisierung unterband. Bis dahin war der Ort so etwas
wie eine Metropole. Um 1050 erstmals erwähnt, entwickelte er sich schon
im frühen Mittelalter zum bedeutenden Handels- und Gewerbezentrum,
vor allem aufgrund der günstigen Verkehrslage und wegen seiner Nähe
zu den Bergbaugebieten unterhalb der Jelovica bzw. zu den alten Industrieorten
Jesenice und Kropa. Neben Eisenerzeugnissen wurde hier auch mit Salz und
Wein gehandelt; letzterer stammte aus heimischer Erzeugung. Mitte des 16.
Jahrhunderts erhielt Radovljica das Stadtrecht und eine eigene Gerichtsbarkeit;
das Recht auf Mauteinhebung stellte regelmäßige Einnahmen sicher.
Aus dieser Zeit stammt der historische Kern, dessen bedeutendste Häuser
liebevoll restauriert wurden.
Ein Zuviel an Zuwendung wurde allerdings dem spätgotischen Štivec-Haus
zuteil, dessen vorspringendes Obergeschoß man unnötig verkitscht
hat. Umso schöner präsentiert sich der Bau im Inneren mit einer
von massigen Mittelpfeilern und raffinierten Kreuzrippen geprägten
Gewölbegalerie und dem herrschaftlichen Trauungssaal im ersten Stock,
der mit kunstvoller Vertäfelung vom Reichtum seiner ehemals bürgerlichen
Besitzer kündet. Schräg gegenüber zieht das Vidic-Haus aus
dem Jahr 1634 mit einem Runderker sowie reicher Bemalung mit angenehmer
Patina die Blicke auf sich. Weitere Sehenswürdigkeiten sind das Fürsager-Haus
aus dem frühen 16. Jahrhundert und das Geburtshaus des Dichters Anton
Tomaž Linhart (17561795). Er gilt als Verfasser des ersten Theaterstücks
in slowenischer Sprache, in dem er »Die Hochzeit des Figaro«
auf die sozialen Verhältnisse in Gorenjska übertrug. Linhart war
der Meinung, dass Österreich aufgrund der slawischen Bevölkerungsmehrheit
eigentlich ein slawischer Staat sei. Er führte außerdem den Begriff
der Slovenci ein, denen er eine besondere Liebe zur Freiheit attestierte.
Um seinen Status als österreichischer Beamter nicht zu gefährden,
enthielt er sich allerdings allzu revolutionärer Umtriebe. Am Nachbarhaus
ist noch die alte deutsche Aufschrift »Tischlerei« zu erkennen.
Als Kulturdenkmal ausgewiesen, jedoch architektonisch wenig überzeugend
ist die Pfarrkirche St. Peter aus dem 15. Jahrhundert. Das spätgotische
Langhaus leidet unter mannigfacher Adaptierung und dem größtenteils
im 19. Jahrhundert zusammengestoppelten Inventar. Am interessantesten ist
die großflächige Fassade mit ein paar gotischen Steinmetz-Einsprengseln
und Resten eines Christopherus-Freskos. Vier Linden und ein alter Kastanienbaum
beschatten den gepflasterten Vorplatz. Ein auratischer Ort ist auch der
Pfarrhof, dessen Arkadengänge aus dem 16. Jahrhundert stammen.
Ohne Sinn für Proportionen beherrscht das Schloss Thurn den Hauptplatz;
barocker Stuck und hellgelbe Färbelung täuschen Leichtigkeit vor,
die von den schweren Eisengittern im Erdgeschoß konterkariert wird.
Sehenswert ist die Fassade allemal, ziert sie doch eine besondere Gedenktafel.
»Unter der Führung des Alpinisten Rudolf Badjur«, lautet
der Text, »haben sich hier im Dezember 1918 Freiwillige zu einem alpinen
Verband zur Befreiung der Kärntner Slowenen zusammengeschlossen.«
Gestiftet wurde die Inschrift von den »Kämpfern für die
Nordgrenze 191819«. Kranzniederlegungen erbeten.
Wann genau das (ursprünglich mittelalterliche) Schloss erbaut wurde,
ist unbekannt; überliefert ist eine ganze Reihe von Besitzern, die
von den Ortenburgern über die Dietrichsteiner bis zu den Habsburgern
reicht. Letztere vermieteten den Sitz den Grafen von Thurn-Valsassina, die
ihn im 17. Jahrhundert vergrößern und außerdem einen »französischen
Park«, von den Einheimischen »Paradies« genannt, anlegen
ließen. Heute beherbergt das Schloss das čebelarski muzej (Bienenzuchtmuseum),
dem Peter Handke ein literarisches Denkmal setzte, indem er in »Gerechtigkeit
für Serbien«, wenn auch nur in einem Nebensatz, vom »lieben
Museum von Radovljica« schrieb.
Man muss mit der Imkerei nichts am Hut haben, um dem Dichter recht zu geben.
1959 als unscheinbare Ausstellung eröffnet, präsentiert es sich
heute als ebenso umfangreiche wie professionell gemachte Schau. Diese erstreckt
sich über sieben Räume, von denen die ersten beiden der Geschichte
der slowenischen Bienenzucht gewidmet sind. Hier lernt man nationale Imker-Größen
wie Jan Strgar und Mihael Ambrožič kennen, die sich um den internationalen
Bienenhandel verdient machten, indem sie etwa das Problem des Übersee-Transports
der empfindsamen Bienenköniginnen lösten. Für Wanderer besonders
interessant: ein Art »Bienenstock-Rucksack«. Gewürdigt
wird auch Anton Janša, Hofimker unter Maria Theresia, dem die sanftmütige
Krainer Biene den Namen Carnica verdankt.
Im Hauptraum werden rund 200 kranjiči gezeigt, kunstvoll bemalte Brettchen,
mit denen einst die Bienenstöcke geschmückt waren. Originelle
Figurenbienenstöcke, darunter auch zeitgenössische »Skulpturen«,
ergänzen die volkskundliche Kollektion. Hauptattraktion ist aber ein
lebendes Bienenvolk, dessen wabenmöblierte Behausung in der biologischen
Abteilung aufgebaut ist. Das Einflugloch befindet sich im straßenseitig
gelegenen Fenster; was sich im Inneren des Stockes abspielt, kann
Aug in Aug mit den Bienen durch eine Glasscheibe beobachtet werden.
Der dazugehörige Sound wird live in eine Kabine übertragen.
EINKEHR: Auch Josip Broz Tito suchte
in Radovljica gelegentlich Ablenkung und Trost. Mehrmals beehrte er die
traditionsreiche Gostilna Kunstelj mit seinem Besuch; Speckkuchen soll sein
bevorzugtes Gericht und cviček sein Lieblingswein gewesen sein. Noch
heute ziert ein Foto des Staatsmannes die Wand und die Homepage der Gastwirtschaft.
Vorzügliches Risotto, schmackhafte štruklji, angenehmer Gastgarten.
Zimmervermietung. Gostilna Kunstelj, Gorenjska 9 (gut 100 m vor dem »Eingang«
zur Altstadt), +386 4 5315178.
Einen guten Ruf hat auch das bald 200-jährige Gasthaus »Lectar«,
ehemals Kerzenzieherei und Lebkuchen-Bäckerei. Die historischen Gasträume
sind gemütlich, sieht man über den unvermeidlichen rustikalen
Ramsch und die Oberkrainer-Dauerberieselung hinweg. Vom schattigen Gastgarten
lässt sich beinahe die gesamte Tagesetappe überblicken. Die reichhaltige
Speisekarte enthält neben der üblichen Hausmannskost auch manche
Überraschung. Als Vorspeise empfiehlt sich Kohlrabi mit Kren; eine
Gewissensfrage ist der gelegentlich angebotene Bärenbraten. Gutes Weinangebot,
robuste Kellner mit Fransenschultertüchern. Gasthaus Lectar, Linhartov
trg 2, +386 4 5374800.
Freundlich wird man im Hotel Grajski dvor empfangen; das renovierte Haus
mit moderaten Preisen ist für Kurzaufenthalte gut geeignet. Hotel Grajski dvor, Kranjska cesta 2, +386 4 5315-585. |