arrow_back Podbrdo/Untereck/Piedicolle (Ortsbeschreibung, IX. Etappe)
»Enge Weiten« würde man in Kärnten zur Lage des Ortes sagen. Auf einer Länge von fast zwei Kilometern sind die Gebäude lose entlang der Durchzugsstraße aufgefädelt, flankiert von steilen und bewaldeten Hängen, die eine seitliche Ausdehnung kaum erlauben. Entsprechend rar macht sich die Sonne im Winter. Aufwachsen möchte man hier eher nicht, vielleicht aber den Lebensabend verbringen: Ein großes Altersheim, Dom upokojencev Podbrdo, bildet das wirtschaftliche und soziale Zentrum des Dorfes. »Vor sechzig Jahren«, heißt es auf der Homepage, »wurden die ersten von Gott und der Welt verlassenen Bürger auf Anordnung des damaligen Bezirksvolkskomitees in die leerstehenden Räumlichkeiten der italienischen Kaserne in Podbrdo gebracht.« Heute bietet das (1989 neu errichtete) Heim Platz für 127 Rentner*innen, die in Doppel-, Dreibett- oder Vierbettzimmern wohnen. Die fit genug sind, können tagein, tagaus im Dorf auf- und abspazieren und dabei seit 2022 sogar einen rollator-tauglichen Gehsteig benützen. Sie verdanken die Errungenschaft einer aufwändigen Dorferneuerung, die Podbrdo tatsächlich so etwas wie ein Gesicht gegeben hat.
Als Stationen für den täglichen Seniorenparcours bieten sich an: Die 2002 stillgelegte Textilfabrik am südlichen Ortsrand, bestehend aus langgestreckten Werkshallen, mit denen der Bača-Bach abschnittsweise vollständig überbaut wurde. Fast 200 Einheimische fanden hier ihr Einkommen – eines von vielen Beispielen dezentraler Industrialisierung im sozialistischen Jugoslawien. Zweitens, die Tankstelle. Heiminsass*innen können sich hier, vom Pflegepersonal unbeobachtet, mit Dosenbier versorgen. Drittens, der Bahnhof. Seine beachtliche Größe verdankt er seiner einstigen Funktion als Grenz- und Zollbahnhof zwischen Jugoslawien und Italien. Viermal am Tag kann man hier einem nostalgischen Spektakel beiwohnen. Der Autoreisezug von Bohinjska Bistrica nach Most na Soči, gezogen von einer gigantischen amerikanischen Diesellok aus dem Jahr 1960, macht an der Rampe Halt und lässt bei Bedarf ein paar PKW ab- und auffahren. Zeremonienmeister ist ein missmutiger Eisenbahner, der die seitlichen Ladeklappen der Waggons händisch betätigen muss. Lenker*innen, die sich beim Einparkmanöver ungeschickt anstellen, werden mit Verachtung gestraft. Viertens, das Dorfzentrum. Durch kluge Planung ist es gelungen, den ehemaligen Parkplatz in einen Ort zu verwandeln, der auch Fußgänger*innen halbwegs gerecht wird. Wer eine freie Bank ergattert, kann fußfrei dem Treiben zwischen Mercator, Postamt, Bushaltestelle und Kneipe zusehen. Auf dem Spielplan stehen Einkaufstragödien, Biker*innenparaden, Wirtshausdramen und Mülltrennungsrituale, nicht zu vergessen das Theater der Jugend nach Unterrichtsschluss. Einen Zwischenstopp verdient auch die schön renovierte Jakovna hiša (Haus Nr. 18) mit einer interessanten ethnographischen Sammlung, einer sehenswerten Dokumentation des Tunnel- und Eisenbahnbaues sowie einer Ausstellung zur italienischen Besatzungszeit. 00386 5 3800485
Bleibt noch die Kirche mit dem angeschlossenen Friedhof. An der Außenseite erinnert ein deutschsprachiges Denkmal an die zwölf »beim Bau des Wocheiner Tunnels in Ausübung ihres Berufes Verstorbenen«. Ein Engel aus Marmor poliert in sich gekehrt mit einem Tuch den Sockel. Gestiftet wurde das Standbild vom friulanischen Baumeister Giacomo Ceconi, der uns bereits an ganz anderer Stelle begegnet ist (vgl. AUS DER ENGE, Kapitel XXI).
EINKEHR:
Bar Baški hram. Sie ist die einzige Einkehrmöglichkeit im Ortskern und damit auch eine Art Kommunikationszentrum. An Ruhetagen sind durstige Kehlen auf den Supermarkt oder die Tankstelle am südlichen Ortsende angewiesen. 00386 5 3808094
Brunarica Slap. Zu Fuß braucht man vom Ortszentrum fast eine halbe Stunde zu der gostilna an der Passstraße Richtung Wochein. Das rustikale Ambiente ist gewöhnungsbedürftig, allseits beliebt sind die Grill- und Forellengerichte. Wer hungrig ist, muss einen Schuss Sexismus mit hinunterschlucken. 00386 4 1332669, www.bruna­rica-slap.com
Apartmaji Utrinek. Die Gastgeber bieten gleich mehrere Unterkünfte in Podbrdo an, darunter auch »Juliana-Zimmer« für Weit­wanderer*innen. www.apartmaji-utrinek.si

Ortskern von Podbrdo (Text & Foto: Gerhard Pilgram)