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XIII. SCHREITTANZ ›› Wanderung bei Ludmannsdorf/Bilčovs

Plešišče nannte man die höchste Erhebung der Sattnitz/Gure, bis ihr eines Tages der erste der drei Hatscheks abhanden kam und ein »Tanzboden« daraus wurde. Aber weder der deutsche noch der slowenische Name (der eine Rodung bezeichnet) treffen heute auf die bewaldete Kuppe zu. Als sie noch kahl war, muss sich ein imposanter Rundblick geboten haben. Heute genießt man die Aussicht ins Rosental/Rož auf einem Panoramaweg auf halber Höhe, sowie von einem Felssporn oberhalb von Ludmannsdorf/Bilčovs.

Von der Pfarrkirche wandert man schnurstracks bergwärts, wo sich der Ort von seiner freundlichsten Seite zeigt. Ein moderner Holzbau ist aus dem Bregenzerwald eingewandert. Anleihen aus dem Wilden Westen hat die Almhütte der Rožanski muzikanti genommen. Beide Häuser sind bestens integriert. Wie eine Dur-Tonleiter steigt der Weg nach Oberdörfl/Zgornja vesca an. Weiher, Wald und Wiese geben den Rhythmus vor; am Schlagzeug: ein froschgrüner Traktor. Eine Oktave höher häufen sich die Misstöne. Entwurzelte Strünke und verwehte Hochsitze zeugen vom letzten Sturmtief. Motorsägen und Forstmaschinen spielen das Lied vom Tod. Als Perkussionisten treten Specht und Borkenkäfer auf. Vier Halbtöne steuert der Mittagskogel/Jepa im Hintergrund bei. Erst nach einer halben Stunde endet die Kakophonie. Man fasst wieder Tritt und erreicht im Seitwärtsschritt die Reste einer Fliehburg. Fromme Einheimische haben ein Kreuz samt Schnapsdepot errichtet, Grund genug, ein paar Takte innezuhalten. Drei Achtel schlägt die Kirchturmuhr; leise pfeift der Hochstuhl/Stol durch die Zähne; kein Laut kommt der Drau/Drava über die Lippen. Mehr tänzelnd als schreitend geht es zurück ins Dorf, denn die Vorfreude ist groß: auf den zweistimmigen Ausklang beim Miklavž, einem der besten gostišče unter Kärntens sonce.


Am Wege ›› Ludmannsdorf/Bilčovs & Pugrad/Podgrad

Auf den ersten Blick weisen Ludmannsdorf/Bilčovs und Köttmannsdorf/Kotmara vas gewisse Ähnlichkeiten auf. Da wie dort liegt der Ortskern nördlich der Landesstraße und vermittelt eine wuchtige Kirche mit einer losen Häusergruppe eine Ahnung vom ursprünglichen Siedlungscharakter. Nicht weit davon hat man das Gemeindeamt, das Feuerwehrhaus und den SPAR-Markt denkbar unsensibel aus dem Boden gestampft, von den vielen privaten »Musterhäusern« im Umkreis ganz zu schweigen. Um die landschaftliche Schönheit wahrzunehmen, lasse man den Blick in die Ferne schweifen. Mit dem neuen Pfarrheim und der adaptierten Volksschule, Bildungszentrum genannt, finden sich in Ludmannsdorf/Bilčovs immerhin Anflüge zeitgemäßer Architektur. Sie tragen die Handschrift des kunst-affinen Holzbau-Unternehmens Gasser, das im Nachbardorf Edling/Kaj­zaze einen sehenswerten Skulpturenpark unterhält.
Keine Augenweide ist das slowenische Kulturhaus/Kulturni dom. Untergebracht in der ehemaligen Zadruga (Genossenschaft) vermittelt es mit einer vorgelagerten Asphalt- und Waschbetonwüste ein deprimierendes Bild. Der Eindruck täuscht, denn der Kulturverein Bilka (Ähre) zählt zu den aktivsten seiner Art in Kärnten. Für einen beherzten Umbau fehlt der Gemeinde vielleicht der politische Wille und damit das Geld.
Gegründet wurde Bilka 1912 als Reaktion auf den deutschen Zwangsunterricht in der Volksschule. Auch hier bestehen Parallelen zu Köttmannsdorf/Kotmara vas, wo man aus ähnlichem Beweggrund die Schulbruderschaft der Hl. Kyrill und Method ins Leben rief. Während diese jedoch gegenüber den Deutschnationalen schon bald in die Defensive geriet, blieb Bilka bis zum »Anschluss« 1938 die bestimmende kulturelle Kraft in Ludmannsdorf/Bilčovs. So kam es, dass das Dorf Jahrzehnte später als »Tschuschennest« bezeichnet wurde und Köttmannsdorf/Kotmara vas als »Nazi-Loch« galt, so Hanzi Filipič in seiner Diplomarbeit zur Geschichte der beiden Gemeinden. Dass heute nur Ludmannsdorf/Bilčovs eine zweisprachige Ortstafel besitzt, ist ebenfalls bezeichnend.

Kulturhaus/Kulturni dom in Ludmannsdorf/Bilčovs (Foto: Gerhard Pilgram)
Die starke slowenische Prägung ist auch der geografischen Lage geschuldet. Über Jahrhunderte war Ludmannsdorf/Bilčovs aufgrund der ungünstigen Verkehrsverbindungen weitgehend isoliert. Eine »richtige« Straße nach Köttmannsdorf/Kotmara vas gibt es erst seit der Zwischenkriegszeit, ins Rosental/Rož gelangte man lediglich per Fähre. Die heutigen Brücken nach Feistritz im Rosental/Bistrica v Rožu und St. Jakob im Rosental/Šentjakob v Rožu wurden erst in den 1960ern errichtet. Während man von Köttmannsdorf/Kotmara vas schon früh nach Klagenfurt/Celovec oder Viktring/Vetrinj auspendelte (die Lodenfabrik Moro beschäftigte bis zu 600 ArbeiterInnen) und auf diese Weise mit dem »Deutschtum« in Berührung kam, blieb das bäuerliche Ludmannsdorf/Bilčovs weitgehend autark und einsprachig slowenisch. Wichtigste Einnahmequelle war der Verkauf von Brennholz. Um 1930 sollen täglich 100 bis 150 Fuhren nach Klagenfurt/Celovec gegangen sein. (Zu dieser Zeit waren Ludmannsdorf/Bilčovs und Oberdörfl/Zgornja vesca noch zwei getrennte Gemeinden in einer gemeinsamen Pfarre.)
Wie in vielen Südkärntner Orten wurde der Kulturkampf mit Pathos und Härte geführt. »Bei unseren Glaubens- und Volksfeinden müssen wir den Kampf für unsere beiden Heiligtümer – Glaube und Volk – lernen«, hieß es bei der Gründung von Bilka. Federführend war der Pfarrer; auch die beiden Bürgermeister saßen im Vorstand. So vermochte der deutschnationale Lehrer gegen die slowenische dörfliche Elite wenig auszurichten und zeigte der deutsche Schulunterricht kaum assimilierende Wirkung. Bei der Volkszählung von 1923 sank der Anteil der »Deutschen« in Ludmannsdorf/Bilčovs sogar von vier auf etwa ein Prozent. Zähl­organe waren der slowenische Pfarrer, der Bürgermeister sowie der Gemeindesekretär, was die Zahlen vielleicht etwas relativiert. Um 1880 war kein/e einzige/r Deutschsprachige/r gezählt worden.
Rekordverdächtig war auch das Ergebnis der Volksabstimmung von 1920: 79,4 Prozent der LudmanndorferInnen und 68,8 Prozent der OberdörflerInnen stimmten für den SHS-Staat, obwohl man nicht unbedingt proserbisch eingestellt war. Mit der Losung »Pod Slovence – ja, pod Srbe – ne!« (Unter den Slowenen ja, unter den Serben nein!) hatten daher die »Heimattreuen« versucht, nationale Slowenen auf ihre Seite zu ziehen. Dem wirkte Bilka mit der Sektion Naša država (Unser Staat) entgegen, die gegen die (österreichische) »Herrschaft unserer Ausbeuter, Unterdrücker und Feinde« agitierte. »Es kann gesagt werden, dass man in Ludmannsdorf weitestgehend gleichgesinnt war, aber nicht nur im Dorf, sondern in der ganzen Gemeinde war man für die südslawische Sache begeistert«, schrieb später der Gemeinde­sekretär Janko Ogris in seiner Autobiografie.
Auch nach der »Niederlage« von 1920 blieb Bilka mit über 100 Mitgliedern aktiv und selbstbewusst. Ebenso behielt die slowenische Liste KSS (Koroška slovenska stranka) bis 1938 die absolute Mehrheit im Gemeinderat. Wesentlichen Anteil an ihrer Stärke hatten die Frauen, von denen 1921 über 80 Prozent für die KSS stimmten. Wieder galt es, den Assimilierungsbestrebungen des deutschen »Oberlehrers« entgegenzutreten und u. a. seinem »Kärntner Bildungsverein« das Leben so schwer wie möglich zu machen, sodass dieser mit seinen Veranstaltungen nach Köttmannsdorf/Kotmara vas ausweichen musste. Es war die Zeit als man in Kärnten begann, zwischen »heimattreuen Windischen« und (potentiell) »irredentistischen Slowenen« zu unterscheiden und damit einen Keil in die Volksgruppe zu treiben. Die »bewussten Slowenen« in Ludmannsdorf/Bilčovs verknüpften hingegen die nationale Identität eng mit dem katholischen Glauben und deuteten jeden Verrat an der Muttersprache als Verstoß gegen das Vierte Gebot. Sie riefen zum Boykott, als ein »deutschfreundlicher« Bauer eine Gasthauskonzession erhielt, »um die Kärntner Slowenen wie die Indianer in Amerika im Alkohol zu ertränken«, und traten allen »Missionierungsversuchen« des Schulvereines Südmark entschieden entgegen.
1934 fand der katholisch-faschistische Ständestaat unter den Kärntner SlowenInnen nicht wenige AnhängerInnen, erhoffte man sich doch – wenngleich vergeblich – eine ständische Vertretung der Volksgruppe. In Ludmannsdorf/Bilčovs sollte ausgerechnet ein NS-Sympathisant zum Führer der (austrofaschistischen) Vaterländischen Front ernannt werden.
Nach dem »Anschluss« an Hitlerdeutschland (für den 100 Prozent der LudmannsdorferInnen gestimmt hatten) geriet Janko Ogris, der sich stets an vorderster Front für die Belange der Volksgruppe eingesetzt hatte, endgültig ins Visier der Nazis. Er wurde als Gemeinde­sekretär entlassen und auf eine Liste der »führenden nationalen Slowenen« gesetzt. »Panslawistisch […], unehrlich gegenüber den Deutschgesinnten […], politische Einstellung radikal Laibach […], bei den slowenischen Schulforderungen immer als Stürmer voran […], Seele der slawischen Minderheit […]«, hieß es in einem Spitzelbericht.
Dennoch ließ sich Ogris von den Nazis nicht einschüchtern. So warb er bei der Volkszählung im Jahr 1939 für ein Bekenntnis zur slowenischen Muttersprache und machte bei einer illegalen Versammlung gegen die Wehrmacht Stimmung. Als er sich auch noch offen mit der Hitlerjugend anlegte und sich die Einberufung seiner Söhne zum Arbeitseinsatz verbat, war das Maß voll. Man entzog ihm die Konzession für sein Gasthaus und nahm ihn 1941 (gemeinsam mit dem Pfarrer) »als geistigen politischen Führer der slawischen Minderheit« in Schutzhaft. Er kam nach zwei Monaten vorläufig frei, wurde aber 1942 enteignet und mit seiner Familie deportiert. Nutznießer war ein »verdienter« Nationalsozialist aus Gnesau, dem die Liegenschaft zugesprochen wurde. (Ein ähnlich tragisches Schicksal ereilte die gleichnamige Familie in Großkleinberg/Mala Gora, siehe Ortsbeschreibung Pugrad/Podgrad.)
Aus der Fremde zurückgekehrt, fand Janko Ogris in den letzten Kriegstagen einen devastierten Gasthof vor, in welchem eine Partisaneneinheit mehrere Anhänger des NS-Regimes festhielt. Man ließ sie nach seiner Intervention frei; einzig der Ortsgruppenleiter der NSDAP wurde nach Jugoslawien verbracht und dort vermutlich liquidiert. Die Sympathien der Ludmannsdorfer­Innen für die Befreier waren eindeutig: 82 BewohnerInnen unterschrieben eine Resolution für den Anschluss des slowenischen Kärntens an die Volksrepublik Jugoslawien.
Fast acht Jahrzehnte später zählt Ludmannsdorf/Bilčovs noch immer zu den »slowenischsten« Dörfern Kärntens. Die im Ort aufgewachsene und in Wien lebende ORF-Journalistin Katja Gasser – sie ist eine Enkelin von Janko Ogris – nennt dafür zwei Gründe: Erstens seien unter den erfolgreichen Unternehmern und Gastwirten viele, die Slowenisch sprechen und sich auch als Slowenen verstehen, außerdem gebe es nicht wenige slowenischsprachige AkademikerInnen, die nach dem Studium in ihre Heimat zurückgekehrt seien und Familien gegründet hätten. Die Altersstruktur habe sich daher zugunsten der Jungen verschoben; Slowenisch gehöre auch in dieser Generation zur Identität, wenngleich der öffentliche Gebrauch der Muttersprache nicht mehr überall selbstverständlich sei. Wichtigste Träger der slowenischen Kultur seien aber nach wie vor die Pfarre sowie der Kulturverein Bilka, in dem sich mittlerweile unterschiedlichste weltanschauliche Positionen treffen. Das sorge manchmal für Konflikte, was auch produktive Seiten habe, weil es Stillstand verhindere und die nationale bzw. sprachliche Frage in einem viel breiteren und komplexeren Zusammenhang sichtbar mache. »Ludmannsdorf mag nicht der schönste Ort sein, doch hat er Charakter und Seele. Das macht ihn so sympathisch.«

EINKEHR
Gasthaus/Gostišče/Trattoria Ogris vulgo Miklavž. Inhaber des Hauses ist Hanzi »Ogi« Ogris, Nachkomme von Janko Ogris (siehe oben). Als Nachfolger steht die nächste Generation in den Startlöchern. Die Familiengeschichte ist auf der Homepage nachzulesen. Dank mutiger Investitionen entwickelte sich das Haus ab den Nachkriegsjahren zu einem Leitbetrieb der Südkärntner Gastronomie, der eine tadellose Küche mit Gemütlichkeit und Interkulturalität unter einen Hut zu bringen versteht. Zweisprachigkeit ist eine Selbstverständlichkeit. Vielfältig wie die Möblierung und das Dekor ist die Speisekarte, besonders lobenswert das Weinangebot. Wer mehrere Tage auf der Sattnitz/Gure wandern möchte, kann hier angenehm und günstig übernachten. 0043 4228 2249, www.gasthaus-ogris.at

Objekt von Pepo Pichler im Skulpturenpark bei Ludmannsdorf/Bilčovs (Foto: Gerhard Pilgram)

Pugrad/Podgrad

Der Name (dt. »Unterburg«) zeugt von einer mittelalterlichen Festung, die sich einst auf einer Felsenkanzel oberhalb von Ludmannsdorf/Bilčovs befand. Heute ist nur noch ein Erdwall unweit des Aussichtspunktes zu erkennen. Einheimische haben den Ort mit einem elektrisch beleuchteten Kreuz sowie einem Schnapsdepot markiert. Auch ohne Stimulanz ist der Ausblick berauschend.

Die Streusiedlung am Fuße des Geländeabbruches ist der Wohnort von Andrej Mohar, dem Sekretär des Kärntner Partisanenverbandes/Zveza koroških partizanov in prijateljev proti­fašističnega odpora. Ihm obliegt es, gemeinsam mit Vereinspräsident Milan Wutte, die Erinnerung an den bewaffneten Widerstand in Kärnten gegen die Nationalsozialisten wachzuhalten. Zentrales Anliegen ist die Errichtung und Pflege von Partisanendenkmälern sowie die Abhaltung von Gedenkveranstaltungen. Dazu gehört auch, die letzten KameradInnen, GenossInnen und ZeitzeugInnen zu Grabe zu tragen.

In Pugrad/Podgrad (Foto: Gerhard Pilgram)
Auf dem Friedhof von Ludmannsdorf/Bilčovs ehrt man die Partisanen Tomaž Žerjav und Jožef Koren mit einem Gedenkstein. Beide kamen gegen Ende des Krieges auf der Sattnitz ums Leben und wurden hier begraben. Žerjav, aus der Umgebung von Jesenice/Assling stammend, fiel 1944 unweit von Großkleinberg/Mala gora in einem Gefecht mit Polizisten; Koren aus der Ludmannsdorfer Ortschaft Edling/Kaj­zaze wurde kaum 15jährig am 11. Mai 1945 unweit der Hollenburg von marodierenden Weißgardisten erschossen. »In der Blüte deiner jungen Jahre wurdest Du von einer feindlichen Kugel getroffen, dein junges Leben hast Du für das Volk geopfert. / Gott soll es Dir vergelten, frohlocke jetzt und genieße ewig deinen Ruhm«, ist auf seinem Grabstein auf Slowenisch zu lesen.
So unscheinbar das Denkmal, so spektakulär waren die Aktionen der PartisanInnen. Zwar spielte sich der militärische Wider­stand gegen Hitlers Truppen in Kärnten in erster Linie südlich der Drau ab, doch gelang es der OF (Osvobodilna fronta/Befreiungsfront), 1944 auch auf der Sattnitz Fuß zu fassen. Mitte März querten 15 KämpferInnen mit Hilfe eines Fährmannes die Drau/Drava und überfielen tags darauf die Polizeistation von Ludmannsdorf/Bilčovs. Sie erbeuteten das Waffenarsenal sowie Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfes. Mehrere »Deutsche« wurden dabei getötet. Überfälle auf die sogenannte Landwacht fanden auch in Ottosch/Otož, St. Egyden/Šentilj und Selpritsch/Žoprače statt.
In der Schul­chronik von St. Egyden/Šentilj findet sich eine ausführliche Schilderung der Ereignisse: »In der Nacht vom 25. 3. zum 26. 3. 1944 sind in unserer engsten Umgebung erstmals Banditen erschienen. In den frühen Morgenstunden drangen sie in die Nachbardörfer Ottosch und Oberdörfl ein. Sie raubten in einigen Bauernhäusern Lebensmittel, leerten eine Trafik und entführten den Ortsbauernführer Einspieler aus Oberdörfl. […] 50 Banditen, verkleidet in deutschen Uniformen, fuhren im Omnibus nach St. Egyden. Um 3/4 3 h früh wurde mit Gewehrkolben an einzelne Türen geschlagen. Gleich darauf hörte man Granateneinschläge. Am unteren Dorfende wurde der Omnibus in Brand gesetzt. […]« Laut Aufzeichnung fand man die Leiche des Ortsbauernführers im September 1944 im Turiawald/Turje.
Das Nazi-Regime reagierte mit einer militärischen Offen­sive. 1.500 SS-Männer und Wehrmachtsoldaten durchkämmten fast vier Wochen lang den Sattnitzrücken zwischen Drau und Wörthersee, ohne das Gebiet gänzlich von den PartisanInnen »säubern« zu können. Im Herbst zählte die OF bereits über 100 Frauen und Männer, die auf der westlichen Sattnitz bis Klagenfurt/Celovec operierten.
Eine der Schlüsselfiguren des örtlichen Widerstandes war Ana Zablatnik, Tochter eines Ludmannsdorfer Wirtes. Sie verbreitete Flugblätter, fungierte als Meldegängerin und schleuste zahlreiche Kämpfer, Deserteure und entflohene Kriegsgefangene über die Sattnitz/Gure. Außerdem beschaffte sie in Klagenfurt/Celovec Medikamente und Schreibzeug für die OF. Die PartisanInnen kamen zum einen Teil aus Jugoslawien, zum anderen Teil aus den Tälern um Eisenkappel/Železna Kapla, Zell Pfarre/Sele und ­ St. Johann/Šentjanž v Rožu. Weiteren Zuwachs gab es von Jesenice/Assling durch den Karawankentunnel. Auch deutschsprachige WiderstandskämpferInnen – Eisenbahner, Postler und Ärzte aus Villach/Beljak und Klagenfurt/Celovec – schlossen sich dem 1. Öster­reichischen Freiheitsbataillon, eine Formation innerhalb der Partisanenarmee, an. Ana Zablatnik wurde im Mai 1944 verhaftet, verbrachte acht Monate im Kerker der Gestapo und wartete im Landesgericht quälende Wochen auf ihren Prozess in Graz/Gradec – in ständiger Angst vor dem drohenden Todesurteil. Sie kam erst zwei Tage vor Kriegsende frei.
Einer ihrer Mitstreiter war Andri Ogris aus Großkleinberg/Mala Gora bei Ludmannsdorf/Bilčovs. Als ältester Sohn einer neunköpfigen Familie war er 1942 zur Wehrmacht eingezogen worden und bei einem Heimaturlaub im März 1944 (der ihm infolge einer Kriegsverletzung gewährt worden war) zu den Partisanen gestoßen. Da sich seine Verwundung wieder verschlechterte, kehrte er ins Elternhaus zurück, wo er gepflegt und vor den Behörden versteckt wurde. Trotz mehrmaliger Hausdurchsuchungen und Verhöre der Angehörigen blieb er unentdeckt. Im Mai wurden sein Vater und einer seiner Brüder wegen Unterstützung der PartisanInnen verhaftet und nach Dachau verfrachtet; im November deportierte man die Mutter und drei seiner Schwestern in ein deutsches Arbeitslager. Andri schloss sich erneut den PartisanInnen an und warb mehrere Zwangsarbeiter für die OF an. Er fiel am 20. November 1944 gemeinsam mit fünf Kameraden »im Kampf gegen den Faschismus« in Selpritsch/Žoprače bei Velden/Vrba, wie es auf einem Denkmal am Veldener Friedhof heißt. Anderen Quellen zufolge wurde er im Gefecht zunächst nur verwundet und erst am Gendarmerieposten liquidiert. Andrina Mračnikar, seine Großenkelin, widmete Andri 2002 ein berührendes Filmporträt und schrieb Jahre später: »Lieber Andri, […]. Ich hatte immer gehofft, dass du nicht gefoltert wurdest, bevor sie dich mit einem Schuss in den Kopf getötet haben. Inzwischen wissen wir mit Sicherheit, dass ihr gefoltert wurdet, dass man die Toten auf euch Schwerverletzte auf einen Karren legte, dass du unter den Körpern deiner ermordeten Mitkämpfer lagst, als ihr durchs Dorf gefahren wurdet, und dass sich selbst die Einheimischen über euch hergemacht haben.«
Mutig kämpfte auch die Partisanin Majda ­Vrhovnik-Lojzka, die im Oktober 1944 von der OF damit beauftragt wurde, von der Sattnitz aus Kontakte zum Klagenfurter Widerstand zu knüpfen. Mehrmals nahm sie an konspirativen Treffen in der Landeshauptstadt teil, bis sie im Februar 1945 in die Fänge der Gestapo geriet. »Die GenossInnen im Gefängnis wussten, dass Lojzka trotz bestialischer Folter kein einziges Wort verriet. Sie wurde mit Stöcken und Gummiknüppeln geschlagen, man brach ihr die Finger, zog ihr die Nägel, warf sie gefesselt auf die Tische. Wenn sie bewusstlos wurde, übergoss man sie so lange mit Wasser, bis sie wieder zu sich kam. […] Ihr Körper war eine einzige Wunde«, schildert Andrej Mohar in seinem Buch Otoki ­spomina/Gedenkinseln das Martyrium der jungen Frau. Sie wurde am 4. Mai 1945 von zwei Gestapoleuten ermordet, ihr Grab hat man nie gefunden.
Dass sich die PartisanInnen nördlich der Drau festsetzen konnten, war nicht zuletzt ein propagandistischer Erfolg. Plötzlich konnten sich die örtlichen Nazis nicht mehr sicher fühlen. Wiederholt gab es Anschläge auf Polizisten oder nächtliche »Besuche« bei NS-Funktionären. Dass dabei nicht immer die Regeln der Haager Landkriegsordnung eingehalten wurden, liegt in der Natur eines Guerillakampfes und ist als Reaktion auf den allgegenwärtigen Naziterror allzu verständlich; beschönigen lässt es sich nicht. Das gilt auch für die Entführung und Liquidierung des NS-Funktionärs Josef (Jozi) Einspieler. Sein Sohn Valentin Einspieler wurde später Obmann des rechtsextremen Kärntner Abwehrkämpferbundes und zählte zu den berüchtigsten ­»Slowenenfressern« des Landes. Seine Mutter, die nur Slowenisch beherrschte, erzählt Andrej Mohar, versteckte er bei Besuchen seiner Gesinnungsgenossen im Keller.

Devastierte Jagdhütte im Turiawald/Turje (Foto: Gerhard Pilgram)