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»Wir sind das Volk!« Wo könnte man das wohl passender formulieren als hier in der Casa del popolo, Ljudski dom, im Volkshaus von Prato Carnico, einem Haus mit prominenter und unterschiedlichster Vergangenheit?

Emigranten aus der karnischen Heimat kamen in den Aufnahmeländern mit fortschrittlichen sozialen und sozialistischen Ideen in Kontakt. Bereits 1897 wurde in Prato Carnico der »Circolo Educativo Democratico Operaio« (Bildungsverein der demokratischen Arbeiterklasse) gegründet, der später zur dritten Sektion der Sozialistischen Partei in Friaul wurde. Im Jahr 1901 gründete der Verein die »Cooperativa di Produzione e di Consumo« (Genossenschaft für Produktion und Verbrauch).

Im Jahr 1906, als das Gericht in Tolmezzo seinen ersten politischen Prozess gegen sozialistische Vertreter führte, gründeten Bewohner der Carnia, die nach Dortmund in Deutschland emigriert waren, eine Initiative zur Errichtung eines eigenen Volkshauses. Zwischen 1909 und 1912 wurde dieses von mehr als 150 namentlich nicht genannten Arbeiterinnen und Arbeitern in Freiwilligenarbeit errichtet. Die Finanzierung erfolgte durch Spenden aus allen Teilen der Welt, in die Menschen der Carnia ausgewandert waren.
Eine Genossenschaft wurde 1912 gegründet, das Gebäude am 2. Feber 1913 eingeweiht. Die Casa del popolo war Sitz des »Circolo Socialista«(Sozialistischer Kreis), des »Circolo Comunista« ( Kommunistischer Kreis), der »Cooperativa Rossa« (Rote Genossenschaft), der 1882 gegründeten »Società Operaia di Mutuo Soccorso» (Arbeiterverein zur gegenseitigen Hilfe), der »Cooperativa di Lavoro« (Arbeitergenossenschaft), der »Cooperativa di Credito« (Kreditgenossenschaft), der »Società filarmonica« und »Società filodrammatica« (Musik- und Laienspielgruppe) und des »Circolo agricolo« ( Agrarkreis).

1930 wurde die Casa del popolo vom faschistischen Regime enteignet und umbenannt in »Casa del Littorio« (Liktorenhaus). 1943 erfolgte die Rückgabe an seine Gründer und wurde Sitz des lokalen Widerstands gegen den deutschen Aggressor.

Nach einer ersten Erweiterung in den Jahren 1946-47 wurde die Casa del popolo zu einem öffentlichen Ort mit Bar und Imbissstube. Im Jahr 2004 erwarb die Gemeinde das Haus und ließ es über mehrere Jahre aufwändig renovieren.
Am 26. Oktober 2013 - 100 Jahre nach ihrer Eröffnung - wurde die Casa del popolo feierlich ihrer neuen Bestimmung übergeben.
Politischer Widerstand, verbunden mit dem Kampf gegen Herrschaft und Repression scheint den Menschen der Val Pesarina zur existenziellen Grundausstattung zu gehören. So konnte sich z.B. der Protestantismus länger als in anderen Regionen halten und es entstand vor ungefähr 400 Jahren eine quasi basisdemokratische Gemeindeverwaltung. Zur Zeit der Gründung des Partito Socialista Italiano im Jahr 1900 stellte die Obrigkeit »anarchistische Umtriebe« fest. Im Feber 1915 wurde die Casa del popolo Ausgangsort einer gewaltigen Massendemonstration. Ca. 700 Frauen und Männer marschierten von Prato Carnico in Richtung Villa Santina, um gegen den Kriegseintritt Italiens zu demonstrieren. Carabinieri und Soldaten versuchten im Val Degano die Demonstration zu stoppen. Nach einem Handgemenge mit einigen Verletzten zogen sich die Bewaffneten zurück und die jubelnde Menge, verstärkt durch desertierte Soldaten, konnte sich zur Abschlusskundgebung in Villa Santina versammeln.
Seit dem ersten Aufstieg des Faschismus in den Jahren 1920-22 gab es Widerstand von allen linken politischen Bewegungen, von Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten.
Der kämpferischste Ort war Prato Carnico. Lange Zeit trauten sich die Faschisten nicht in die Val Pesarina vorzudringen. Nachdem sie versucht hatten, die Casa del popolo in Brand zu stecken, stießen sie auf so starken antifaschistischen Widerstand, dass sie weitere Expeditionen aufgaben. Prato Carnico wurde von der Polizei in Udine als »Rote Gemeinde« bezeichnet.
Umso härter gingen die Faschisten nach der Machtergreifung vor. Politische Gegner wurden verhaftet und inhaftiert, die Bevölkerung durch Razzien und Bespitzelung eingeschüchtert. Zahlreiche Antifaschisten konnten sich ins Ausland absetzen und schlossen sich zum Teil antifaschistischen Aktionen an. Pesarini finden sich bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner oder später in den Reihen der französischen Resistance. Ein großer Teil der Auswanderer ging nach Süd- und Nordamerika.
Der 20 Jahre währende Faschismus endete am 25. Juli 1943. Obwohl die Widerstandskämpfer stark dezimiert waren, entschieden sich die Verbliebenen für den bewaffneten Kampf gegen den Nazi-Faschismus. Sie schlossen sich der Partisanenbewegung an. Einige Kommandanten stammten aus Prato Carnico. Auch der »Comitato di Liberazione Nationale« (das nationale Befreiungskomitee) hatte hier seinen Sitz. Bei bewaffneten Überfällen auf deutsche Einheiten kamen einige Einheimische ums Leben.
Die Freizone von Carnia, die von Juli bis Oktober 1943 dauerte, wurde u.a. von einigen Pesarini gegründet. In diesem befreiten Gebiet wurde das Leben von ungefähr 80.000 Menschen organisiert.
Ein schwarzer Tag war der 9. April 1945, an dem der Partisanenführer Albino Gonano aus Prato Carnico zusammen mit 36 Genossen im Gefängnis von Udine von der SS erschossen wurde.
Der 1. Mai 1945 - die Val Pesarina war bereits befreit - wurde still begangen: Es war ein Tag der Trauer.