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Wilhelm Berger, Werner Koroschitz, Gerhard
Pilgram: |
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Über
die Zäune | o plotovih | sui recinti |
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Zäune im Denken von
Wilhelm Berger [Auszug] |
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Was das Denken betrifft, meinte schon Aristoteles,
dass nur Begrenztes auch erkannt werden könne. Es scheint einleuchtend,
dass ein Gegenstand nur dann von einem anderen unterschieden werden
kann, wenn eine Grenze beide voneinander trennt. Aristoteles hat diese
scheinbare Selbstverständlichkeit auf die Regeln des Denkens,
auf die Logik, übertragen und dabei auch ihre Voraussetzungen
sichtbar gemacht. Seine Grundprinzipien, der Satz der Identität
(»Alles Wahre muss mit sich selbst nach allen Seiten in Übereinstimmung
sein«), der Satz des verbotenen Widerspruchs (»Es ist
unmöglich, dass demselben dasselbe und in derselben Hinsicht
zugleich zukomme und nicht zukomme«) und der Satz vom ausgeschlossenen
Dritten (»Zwischen Widersprechendem gibt es kein Mittleres«)
sind Axiome eines Denkens der Eindeutigkeit, der Widerspruchslosigkeit
und des klaren Unterschieds zwischen Ja und Nein.
Soll dieses Denken funktionieren, hat es einen homogenen »Denkraum«
zur Voraussetzung. Die Begriffe besetzen gewissermaßen eine
Fläche, und wo A auf dieser Fläche situiert ist, kann nicht
gleichzeitig B gedacht werden. Schon in der frühen Antike, zum
Beispiel für den vorsokratischen Denker Parmenides, war klar,
dass dieser »Denkraum« begrenzt, gewissermaßen umzäunt
sein muss, oder anders ausgedrückt: dass die Idee des Grenzenlosen
und Unendlichen den »Denkraum« sprengen würde. So
erlaubt Aristoteles das Unendliche nur als prinzipielle Möglichkeit,
einer gegebenen Menge von Elementen immer noch ein weiteres hinzuzufügen.
Das Unendliche ist nur potenziell. Dazu hat der Herätiker schlechthin,
Giordano Bruno, die radikalste Gegenposition bezogen. Mit dem Beginn
der Neuzeit öffnet sich die geschlossene, umzäunte und von
einem transzendenten Gott im Raum und in der Zeit gehaltene Welt,
und ein unendliches Universum wird denkbar. Giordano Bruno denkt es
in aller Konsequenz: Der unendliche Raum ist kein Behälter, sondern
er besteht selber aus unendlich vielen Welten, und auch die Zeit kennt
keinen fixen Schöpfungsakt am Anfang und kein Ende, also keine
Grenze mehr. Das ewige Universum ist selbst schöpferisch, es
ist die ständige Verwirklichung unendlich vieler Möglichkeiten.
Diese radikale und unerschöpfliche Grenzenlosigkeit muss alle
Eindeutigkeit und Widerspruchslosigkeit sprengen. Von deren Hüterin,
der katholischen Kirche, ist Giordano Bruno 1600 verbrannt worden.
Seine Statue am campo dei fiori in Rom, dem Ort seiner Verbrennung,
blickt auf den palazzo della cancelleria, den Sitz des höchsten
kirchlichen Gerichts, das nach wie vor über die Rechte des transzendenten
Gottes wacht.
Aristoteles hat sich die Welt selber nach den Regeln eines eingezäunten
Denkens vorgestellt. Wenn er als Beispiel anführt: »Denn
Dreiruderer, Mauer, Mensch würden dasselbe sein, wenn man von
jedem Ding bejahend oder verneinend aussagen kann«, so setzt
er die logischen Prinzipien und die Wirklichkeit in ein gleichwertiges
Verhältnis. Die Logik bestätigt die Wirklichkeit und die
Wirklichkeit bestätigt die Logik. Und insofern uns der Satz,
dass etwas in einer Hinsicht immer nur eines und nicht gleichzeitig
ein anderes sein kann, unmittelbar einleuchtet, weil es auch in der
Wirklichkeit scheinbar evident ist, dass zum Beispiel dort, wo ein
Tempel steht, nicht gleichzeitig eine Kirche sein kann, bedarf diese
Übertragung keiner weiteren Begründung.
Die Übertragung der aristotelischen Prinzipien auf die Wirklichkeit,
also die Konstruktion einer Welt der Eindeutigkeit, der Widerspruchslosigkeit
und des klaren Unterschieds zwischen Ja und Nein, hat wesentlich zur
Entwicklung der abendländischen Wissenschaft und Technologie
und damit zum Sieg des abendländischen Weltbilds in der technologischen
Zivilisation der Gegenwart beigetragen. Allerdings kennen wir heute
eine Reihe von Logiken, in denen der Satz des ausgeschlossenen Dritten
nicht gilt. Wie zum Beispiel die dreiwertige Logik des Philosophen
Gotthard Günther wurden sie oft als Reaktion auf Probleme innerhalb
der technologischen Zivilisation entwickelt. Die problematischste
Konsequenz der aristotelischen Übertragung begreift aber zum
Beispiel schon Friedrich Schillers Wallenstein, wenn er (»mit
finsteren Stirnfalten«) sagt: »Doch hart im Raume stoßen
sich die Sachen, wo eines Platz nimmt, muss das Andre rücken,
wer nicht vertrieben sein will, muss vertreiben, da herrscht der Streit,
und nur die Stärke siegt.« |
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Don’t fence me in
von Werner Koroschitz [Auszug] |
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Die Ausprägung der jeweiligen Zaunkultur
hängt davon ab, in welchem historischen, gesellschaftlichen und
geographischen Raum sie sich entwickelt hat. Es gibt Länder,
in denen Zäune wenig oder keine Bedeutung haben und andere, wo
sie eine wichtige Stellung einnehmen. Die USA vereinen beide Standpunkte.
Die Historie des Landes lässt sich als Geschichte des Einzäunens
lesen. Der Streit um das Zaunsetzen ist ein wiederkehrendes Motiv
in den Eroberungsmythen des »Wilden Westens«.
Der 1874 in den USA erfundene Stacheldraht bedeutete für die
landwirtschaftliche Erschließung des amerikanischen Westens
eine Revolution. Mit dem Ersten Weltkrieg schrieb sich der Stacheldraht
in die europäische Leidensgeschichte ein, die nationalsozialistischen
Konzentrations- und Vernichtungslager machten ihn zu einem universellen
Symbol für die systematische Überwachung des Raumes.
Im Gegensatz zu traditionellen Holzumfriedungen ersparten sich die
US-Farmer beim Ziehen eines Stacheldrahtzaunes aufgrund niedrigerer
Transportkosten und geringerem Arbeits- und Materialaufwand ein Drittel
der anfallenden Ausgaben. Wurde anfangs das Kilo Stacheldraht noch
um zehn Dollar verkauft, so waren die Preise gegen Ende des 19. Jahrhunderts
auf ein Zehntel gesunken. Die zunehmende Technisierung der Land- und
Viehwirtschaft bewirkte ein Ansteigen der industriellen Stacheldrahterzeugung
von 270 Tonnen im Jahr 1875 auf 135.000 Tonnen im Jahr 1901. Die Ausbreitung
des Stacheldrahts ist auf das Engste mit der Erschließung des
amerikanischen Westens und der Cowboy-Folklore verbunden: Auf der
einen Seite steht der Cowboy mit seiner unstillbaren Liebe zur unbegrenzten
Weite der Prärie, in der er nomadisierend Vieh treibt. Auf der
anderen Seite gibt es den sesshaften Siedler, der seinen Grund und
Boden mit Zäunen umgibt. Das Nachsehen bei dieser Auseinandersetzung
hatten die nordamerikanischen Indianer, denen die private Inanspruchnahme
der Erde völlig unbekannt war, bewohnte doch ein Indianerstamm
für gewöhnlich ein Gebiet, das sich im Einklang mit seinen
Bedürfnissen und seiner Größe befand, ohne dass es
dazu Absperrungen bedurfte.
Der »Wilde Westen« wurde in dem Moment zum Mythos, als
es keine Cowboys, keine offenen Weideflächen und keine freien
Indianer mehr gab. Anscheinend stellt für den US-Amerikaner der
umherstreifende Westernheld eine tiefe Sehnsucht nach Ungebundenheit
und Nomadentum dar. Der legendenumwobene Cowboy mutierte dabei zum
entschlossenen Gegner kapitalistischer Viehzüchter und sesshafter
Farmer, die das freie Land aufteilen und einzäunen wollten. Letztendlich
gewann in den USA die Siedlermentalität. »There was a high
wall, where they tried to stop me; sign was painted, it said private
property«, lautet eine der Strophenvarianten von Woody Guthries
Folksong »This land is your land« (1944). Ursprünglich
war das Lied als Antwort auf Irving Berlins patriotisch-kitschige
Hymne »Good bless America« gedacht, darüber hinaus
geriet es auch zur indirekten Kritik an den sozialpolitischen Auswüchsen
amerikanischer Siedlermentalität. Ebenso wandte sich Cole Porter
1934 gegen imaginäre und reale Grenzen, als er schrieb: »Let
me ride through the wide open country that I love, don’t fence
me in.«
Das Einfamilienhaus auf eigenem Grund und Boden zählt zum Ideal
des amerikanischen Individualismus. Ein Phänomen, aus europäischer
Sicht, ist die Tatsache, dass das rasche Anwachsen der suburbs in
den USA ohne Zäune auskommt. Hier liegen die Grundstücke
der weißen Mittelschicht, samt akkurat gemähter Rasenflächen,
gleichförmig nebeneinander, ohne dass sie von einem Zaun begrenzt
werden. Präsent ist der Zaun allerdings dort, wo er soziale Grenzen
zwischen Ethnien und Klassen markieren soll. Dort, wo der weiße
Durchschnittsamerikaner sein Hab und Gut von sozial Schwächeren
bedroht sieht, beginnt er sich innerhalb sogenannter gated cities
oder private communities abzuschotten – ein Phänomen übrigens,
das auch in Europa zunehmend Verbreitung findet.
Im Dokumentarfilm La France – Made in USA (2007) untersucht
der Regisseur und Ethnologe Bob Swaim, welchen Einfluss die in den
1950er Jahren in Frankreich stationierten US-Streitkräfte und
der von ihnen zur Schau gestellte »american way of life«
auf die französische Gesellschaft ausübten. Zwischen 1953
und 1958 – auf dem Höhepunkt ihrer Präsenz –
lebten ungefähr 100.000 amerikanische Soldaten, US-Beamte samt
ihren Familien in Frankreich. Dort wohnten sie in schmucken Abbildern
amerikanischer Vorstadtsiedlungen, mit Supermarkt, Restaurants, kleinen
Läden, mit Vorgärten – aber ohne Zäune. Nach
dem Austritt Frankreichs aus der NATO im Jahre 1966 mussten alle amerikanischen
Stützpunkte geräumt werden. In die zurückgelassenen
US-Wohnsiedlungen zogen französische Familien ein – zuallererst
umzäunten sie ihre neuerworbenen Grundstücke. |
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