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Werner fitzthum, Reisejournalist (DE) | 08 08 2012

Karstlandschaften gehören zu den gefragtesten Wandergebieten des Alpenraums, den Karst selbst kennt hingegen kaum jemand. Damit könnte es allerdings bald vorbei sein. Denn der Klagenfurter Drava-Verlag hat nun ein opulentes Wanderlesebuch über die Terra incognita am südlichen Ausläufer der Ostalpen vorgelegt, das schnell zum Standardwerk werden dürfte. Gerhard Pilgram, Wilhelm Berger und Werner Koroschitz, die im Dienste des Universitätskulturzentrums UNIKUM schon mehrfach als Verfasser exzellenter Wanderbücher auf sich aufmerksam machten, haben diesmal 33 Wandervorschläge rund um den slowenischen »Kras« zusammengetragen. Zusammengetragen heißt aber nicht, einfach aus Karten oder schon existierenden Reiseführern übernommen, vielmehr haben sie Weg für Weg mühsam selbst erkundet. Denn Wanderkarten gibt es für diese dünnbesiedelte Region kaum, und Führerliteratur schon gar nicht. Die als Tagestouren konzipierten Routen sind so exakt beschrieben, dass man sich notfalls auch ganz ohne Karte zurechtfindet.
Auf den epidemisch sich verbreitenden Animatorenton verzichten die Autoren: Brüche und Widersprüche im Landschaftsidyll werden offen thematisiert und bewusst hingenommen. Deshalb beginnen die Touren nicht an abgelegenen Wanderparkplätzen, von denen man in wenigen Schritten in der intakten Natur ist, sondern in den Orten selbst, wo einen nicht nur hübsche Bauernhäuser, sondern auch »skurrile Zeugnisse der Alltagskultur« erwarten.
Der Titel »Tiefer gehen« ist programmatisch zu verstehen, und das in einer doppelten Weise: Zum einen verweist er auf die Tatsache, dass der Karst mit seinen Höhlen eine spannende Unterwelt besitzt, die hie und da auch für Besucher zugänglich gemacht wurde. Und zum anderen enthält er das Versprechen, auch inhaltlich nicht nur an der Oberfläche zu bleiben – ein Versprechen, dass mit schlafwandlerischer Sicherheit eingelöst wird: Alle nur denkbaren Hintergründe werden kenntnisreich und eloquent ausgeleuchtet: die Erforschung der Höhlenwelt, der berüchtigte Fallwind Bora, die Wahrnehmung des Karstes in der Literatur, die Konflikte, die in durch die Italienisierungspolitik Mussolinis entstanden, und nicht zuletzt der Karst als spezifischer Erfahrungsraum.
Nicht weniger wichtig ist es, dass die Autoren mit dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorurteil aufräumen, der Karst sei trostlos karg und deshalb für Wanderer wenig attraktiv. Wer sich auf diese spröde Landschaft einlässt, wird eines Besseren belehrt: Alle paar Kilometer ändern sich seine Gestalt, die Vegetation, das Klima, die Kulturlandschaft und die Ortsbilder. Man dürfe nur nicht einfach nur hindurchfahren, warnen die Autoren: »Um diese Landschaft in ihrer Vielgestalt und Schönheit mit allen Sinnen zu erfahren, ist das Wandern die beste und beglückendste Methode.« Da haben die drei Kulturwanderer zweifellos recht. Eine wahrhaft gelungene Einladung in das Niemandsland zwischen Ljubljana und Triest.

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