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11.
06. 2011 | 08.30–17.00 | Dobratsch/DobraČ (AT) |
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HAUS-BERG-VERBOT |
Kunstaktion zur Erinnerung
an das »Judenverbot« am Kärntner Dobratsch im Jahr
1921 | Umetniška
akcija v spomin na leto 1921, ko je bil judom prepovedan dostop na
Koroški DobraČ |
Azione artistica in ricordo
del divieto agli ebrei di accedere al Dobratsch nel 1921 |
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Hubert Lengauer, Vizerektor für
Internationale Beziehungen und Lehre an der Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt/Celovec bei seiner Rede zur Kunstaktion HAUS-BERG-VERBOT
am 11. Juni 2011 am Dobratsch. |
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Der Gang
auf den Dobratsch von Hubert Lengauer |
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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen
und Freunde!
Das UNIKUM hat mich eingeladen, heute auf den Berg mitzukommen
und auch ein paar Worte zu sagen. Ich habe mich darüber
sehr gefreut, weil ich weiß, dass das UNIKUM einen akademischen
Segen nicht braucht. Seine Werke entstehen aus kreativer Unabhängigkeit,
und es ist die Universität, die diese kreative Unabhängigkeit
braucht.
Mit ihr geht die Universität – wie es früher
einmal geheißen hat – aufs Land, und das Land braucht
diese Gänge, um sich mit seiner hohen Bildungsinstitution
und mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und wir Universitätsangehörige
brauchen den Gang aufs Land, nicht nur für unsere in den
Bürosesseln verkümmernden Leiber, sondern auch um
den Blick zu weiten.
Ich will es nicht bei ein paar Begrüßungsfloskeln
belassen, und ich möchte damit, wenn es gelingt, die Aktion
des Unikums auf meine Weise ehren. »Komm ins Offene,
Freund!«, heißt es in einem Gedicht Friedrich Hölderlins
mit dem Titel »Der Gang aufs Land«.
Der heutige Gang aufs Land ist ein besonderer, er ist der Erinnerung
an jene gewidmet, die wie alle anderen ins Offene gehen wollten,
aber immer mehr in die Enge getrieben wurden, für die es
zu Ausschließungen kam, dann zu Einschließungen
und schließlich zum Tod in den Gaskammern.
Der Gang ins Offene, das wusste auch Hölderlin, ist nicht
immer ungetrübt, und die Trübungen sind nicht immer
nur metereologische Erscheinungen, sondern Trübungen anderer
Art.
Im Gedicht geht es weiter:
zwar glänzt ein Weniges heut
Nur herunter und eng schließet der Himmel uns ein.
Weder die Berge sind noch aufgegangen des Waldes
Gipfel nach Wunsch und leer ruht von Gesange die Luft.
Trüb ists heut, es schlummern die Gäng' und die Gassen
und fast will
Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit.
An eine bleierne Zeit sei auch heute erinnert.
Ich habe mich vor etlichen Jahren einmal mit der Landschaftsästhetik
in der österreichischen Literatur beschäftigt. Die
Beispiele reichen vom alten Franz Grillparzer, der noch uneingeschränkt
das Schöne mit dem Guten verbinden konnte (»Es ist
ein gutes Land, wohl wert, dass sich ein Fürst sein unterwinde«,
heißt es im Ottokar), bis zu den großen Absagen
an die geschichtlich kompromittierte österreichische Landschaft
bei Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard.
Mittendrin, und zeitlich nahe an den Ereignissen hier auf dem
Dobratsch, findet sich in den Tagebüchern Arthur Schnitzlers
eine merkwürdige Stelle. Am 6. Juli 1919 registriert Schnitzler
einen Ausspruch seines Freundes, des Neurologen Emil Redlich
anlässlich des Todes eines jüdischen Bergsteigers
namens Eisler auf dem Wiener Hausberg, der Rax: »Redlich,
wie der ausgezeichnete Bergsteiger M. Eisler von der Rax abstürzt:
Muß ein Jud auf die Rax steigen?« [Arthur Schnitzler,
Tagebuch 1917–1919, ed. Werner Welzig. Wien 1985, 269]
Vielleicht hat sich der Alpenverein etwas ähnliches gedacht,
als er das Hausbergverbot für Juden auf dem Dobratsch verfügte:
Muss ein Jud auf den Dobratsch steigen?
Schnitzler, der 1912 das bedeutendste Stück zum Antisemitismus
in Österreich fertiggestellt hatte, den »Professor
Bernhardi« (in der Donaumonarchie bis 1918 verboten),
kommentiert den Ausspruch seines jüdischen Freundes nicht.
Er hält ihn aber immerhin für bemerkenswert genug,
ihn niederzuschreiben. Bemerkenswert, weil hier offenbar ins
jüdische Selbstbewusstsein eingedrungen und internalisiert
worden war, dass Juden in den Bergen nichts zu suchen hätten.
Sie passten offenbar nicht in die Landschaft, nachdem man ihnen
über Jahrhunderte hinweg den Landbesitz verboten hatte.
Schnitzler selbst war allerdings ein Liebhaber der Landschaft,
gerade der Gegend um die Rax, wo manche seiner Erzählungen
und Stücke spielen, und musste sich damit selber in seiner
Herkunft und in dieser Landschaft in Frage gestellt sehen.
Theodor Adorno erklärt an einer Stelle seiner Ästhetik,
warum uns Stadtbewohnern die Landschaft gefällt. Landschaft
und Ländlichkeit sind jenes »ideologische Komplement«,
welches der vorwaltende Urbanismus aufsaugt, weil es »dem
städtischen Wesen willfahrt und doch die Stigmata der Marktgesellschaft
nicht auf der Stirn trägt«.
Auf Deutsch gesagt heißt das: wir sind in der Hauptsache
Stadtbewohner, wir unterwerfen uns die Landschaft und fühlen
uns wohl in ihr, weil sie uns (vorübergehend) die Geldgesellschaft
vergessen lässt, der wir für den großen Rest
unseres Lebens unterworfen sind. Weil wir hier das Gefühl
haben, dass nicht alles käuflich ist. Anders gesagt: wir
fühlen uns frei in Landschaft und Natur, wir kommen ins
Offene.
Vielleicht wollte der Alpenverein deshalb keine Juden auf dem
Berg sehen, weil er sich in den Juden jenes Feindbild zurechtgezimmert
hatte, in das die Mängel der Geldgesellschaft projiziert
wurden, jenen Sündenbock, der für die allgemeine Misere
der Zeit büßen sollte und der die Illusion einer
geldlosen Freiheit in den Bergen störte.
Adorno hat auch bemerkt, dass nicht alle Zeitgenossen Schnitzlers
Freude an der Gebirgslandschaft hatten. Er schreibt:
»So hat der polemische Genius in Karl Kraus […]
dem Kultus großartiger Landschaft sich verweigert, offenbar
kein Glück am Hochgebirge empfunden, wie es ungeschmälert
wohl nur dem Hochtouristen zuteil wird, dem der Kulturkritiker
mit Grund misstraute.«
Mit Grund, und zu Recht misstraute der Kulturkritiker seiner
Zeit dem Hochtouristen, ein gründliches Motiv für
solches Misstrauen des Juden Karl Kraus hat der Alpenverein
mit seinem Arierparagraphen geliefert.
Die Landschaft kann nichts dafür. Sie ist oft schön,
während gleichzeitig die Leute, die in ihr wohnen oder
sie sonst beanspruchen, Übles im Sinn haben. Die Landschaft
willfahrt unseren städtischen Ansprüchen, wir sehen
es an der Tourismus-Industrie. Nur manchmal rächt sie sich
auf eine uns unverständliche Weise, und wir nennen es eine
Bergtragödie.
Eine Bergtragödie gibt es auch hier zu betrachten. Auf
diesem Berg hat (wie an andern Orten auch) angefangen, was im
Holocaust geendet hat.
Im Gedenken daran möchte ich auch an einen unserer Kollegen
dankbar erinnern, an Armin Wallas aus Villach und seine Frau
Andrea Lauritsch, die sich mit Energie und rastloser Arbeit
dem Thema des Judentums und der jüdischen Literatur gewidmet
haben.
Armin Wallas ist 2003 verstorben. Ich wünschte, er könnte
heute mit uns gehen. |
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